Boris Pasternak
es
auch selber im Herzen bewahrt, jedenfalls weiß ich, meine Mutter, Raissa
Komarowa, war die Frau eines untergetauchten russischen Ministers in der
Weißen Mongolei, des Genossen Komarow. Dieser Komarow war vermutlich nicht mein
richtiger Vater. Naja, ich bin natürlich ein ungebildetes Mädchen, ohne Eltern
aufgewachsen. Ihr werdet vielleicht lachen, wie ich das so sag, aber ich
erzähl, was ich weiß, versetzt euch in meine Lage.
Ja. Also,
was ich jetzt erzähl, das hat sich hinter Kruschizy abgespielt, am andern Ende
von Sibirien, jenseits von Kasachstan, nicht weit von der chinesischen Grenze.
Wie wir damals, das heißt die Roten, auf ihre Weiße Hauptstadt vorrückten, hat
dieser Minister Komarow meine Mutter mit der ganzen Familie in einen Sonderzug
gesetzt und befohlen, sie wegzubringen, denn meine Mutter war ganz verängstigt
und traute sich ohne ihn keinen Schritt zu gehen.
Von mir
hat dieser Komarow gar nichts gewußt. Er wußte nicht, daß ich auf der Welt war.
Meine Mutter hatte mich während der langen Trennung zur Welt gebracht, und sie
hatte Todesangst, jemand könnte ihm das ausplaudern. Er konnte Kinder überhaupt
nicht leiden, und er hat mit den Füßen gestampft und geschrien, das brächte
bloß Dreck ins Haus und Unruhe. Ich kann das nicht leiden, hat er geschrien.
Also, wie
die Roten näherrückten, schickte meine Mutter nach der Streckenwärterin Marfa
auf dem Haltepunkt Nagornaja, drei Stationen von der Stadt. Ich erklär euch
das. Zuerst kam die Station Nisowaja, dann der Haltepunkt Nagornaja und
schließlich der Samsonowski-Paß. Ich überleg mir so, woher meine Mutter diese
Streckenwärterin gekannt hat. Wahrscheinlich hat die Marfa in der Stadt mit
Grünzeug gehandelt und Milch gebracht. Ja - was ich sagen wollte, irgendwas
weiß ich wohl nicht. Ich glaube, man hat meine Mutter getäuscht und ihr was
Falsches gesagt. Weiß Gott was, nur für eine Zeitlang sollte das sein, nur für
ein paar Tage, bis sich das Durcheinander gelegt hätte. Nicht so, daß ich für
immer in fremde Hände komme zur Erziehung. Sonst hätte meine Mutter doch nie
ihr Kind weggegeben.
Na ja, wie
das bei Kindern so ist. Du kommst zu der Tante, die Tante gibt dir einen
Pfefferkuchen, die Tante ist gut, du hast keine Angst vor ihr. Wie ich dann
später geheult und gejammert hab, wie mein Kinderherz vor Heimweh vergangen
ist, daran will ich lieber nicht denken. Aufhängen wollt ich mich, so klein
wie ich war, ich bin fast wahnsinnig geworden. Ich war ja noch ganz klein.
Vermutlich hat Tante Marfa Geld gekriegt für meine Ernährung, viel Geld.
Der Hof
bei dem Bahnwärterhaus war reich, eine Kuh und ein Pferd, allerlei Geflügel
natürlich und für den Gemüseanbau soviel Land, wie man wollte auf dem Bahngelände,
dazu natürlich eine mietfreie Wohnung, das Wärterhäuschen stand direkt an den
Gleisen. Von meiner Heimat her kroch der Zug nur mühsam bergan, überwand die
Steigung mit großer Mühe, doch wenn er von euch aus Rußland kam, machte er
volle Fahrt und mußte bremsen. Im Herbst, wenn der Wald kahl wurde, konnte man
unten die Station Nagornaja deutlich sehen.
Ihn, Onkel
Wassili, hab ich, wie auf dem Dorf üblich, Papachen genannt. Er war ein
lustiger und gutmütiger Mensch, bloß viel zu vertrauensselig; wenn er blau war,
hat er alles von sich ausposaunt, wie man so sagt, das Schwein erzählt's dem
Eber, und der Eber erzählt's der ganzen Stadt. Seine ganze Seele hat er jedem
Hergelaufenen ausgebreitet.
Zu der
Wärterin hab ich nie Mama sagen können. Schließlich hatte ich meine Mutter noch
nicht vergessen, oder aus anderen Gründen, jedenfalls hatte ich schreckliche
Angst vor Tante Marfa. Ja. Tante Marfa hab ich zu der Wärterin gesagt.
Naja, die
Zeit verging, Jahre vergingen. Wie viele, weiß ich nicht mehr. Wenn ein Zug
vorbeikam, bin ich schon mit dem Fähnchen rausgelaufen. Das Pferd ausspannen
oder die Kuh holen, das war nichts Besonderes für mich. Auch Spinnen hab ich
von Tante Marfa gelernt. Hausarbeit sowieso. Fußboden fegen, aufräumen,
kochen, Teig kneten, das war für mich nichts weiter, das hab ich alles gekonnt.
Ach ja, fast hätt ich's vergessen, auf Petenka hab ich aufgepaßt. Der war drei
Jahre alt und hatte gelähmte Beinchen, hat immer dagelegen, konnte nicht gehen,
für den war ich das Kindermädchen. Soviel Jahre auch vergangen sind, mir wird
noch immer ganz gruselig, wie Tante Marfa nach meinen gesunden Beinen geschielt
hat, als ob sie sagen wollte, warum sind die nicht
Weitere Kostenlose Bücher