Boris Pasternak
Gäste, die nicht tanzten.
In ihrem Kreis wirbelten die
Tänzer herum. Angeführt wurden sie von dem Lyzeumsschüler Koka Kornakow, dem
Sohn eines Staatsanwalts. Er führte die Paare zusammen und zog sie zur Kette
auseinander, dirigierte das Tanzen und brüllte aus vollem Halse von einem Ende
des Saals zum anderen: »Grand rond! Chaine chinoise!«, und alles geschah nach
seinem Wort. »Une valse s'il vous plait!« rief er dem Klavierspieler zu und
führte an der Spitze der ersten Tour seine Dame ä trois temps, ä deux temps,
dabei verlangsamte er die Gangart immer mehr bis zu einem kaum bemerkbaren
Auf-der-Stelle-Treten, das kein Walzer mehr war, sondern nur ein ersterbender
Nachhall. Alle applaudierten, dann wurden der sich bewegenden, scharrenden,
lärmenden Menge Eis und Erfrischungsgetränke gereicht. Die erhitzten Jünglinge
und Mädchen unterbrachen vorübergehend ihr Geschrei und Gelächter, um hastig
und gierig kalten Saft oder Limonade zu trinken, doch kaum hatten sie die
Gläser aufs Tablett zurückgestellt, erneuerten sich ihr Geschrei und Gelächter,
als hätten sie etwas Erheiterndes zu sich genommen. Tonja und Jura, ohne den
Saal zu betreten, suchten die Gastgeber auf.
Die hinteren Räume der
Swentizkis waren mit überflüssigen Sachen vollgestellt, die man aus dem Salon
und aus dem Saal herausgetragen hatte, um Platz zu gewinnen.
Hier befand sich die
Zauberküche der Gastgeber, ihr Weihnachtsvorrat. Es roch nach Farbe und Leim,
Rollen Buntpapier lagen herum, und es gab haufenweise Kartons mit
Kotillon-Sternen und Weihnachtskerzen.
Die alten Swentizkis waren
eben dabei, Nummernschildchen für die Geschenke, Tischkärtchen für das
Abendessen und Lose für die Tombola zu beschriften. Dabei half ihnen George,
aber da er sich bei der Numerierung oft irrte, knurrten sie ihn gereizt an. Die
Swentizkis freuten sich schrecklich über Jura undTonja, die sie schon als
kleine Kinder gekannt hatten. Ohne große Umstände und weitere Worte beteiligten
sie sie an der Arbeit.
»Felizita begreift nicht, daß
sie daran früher hätte denken sollen, nicht erst jetzt, wo das Haus voller
Gäste ist. Ach, ist das ein heilloses Durcheinander, George, was hast du schon
wieder mit den Nummern angerichtet! Die Konfektschachteln sollten doch auf den
Tisch und die leeren aufs Sofa, und jetzt dieser Wirrwarr, alles verkehrt.«
»Ich bin sehr froh, daß es
Anna besser geht. Pierre und ich haben uns schon Sorgen gemacht.«
»Ja, meine Liebe, aber grade
jetzt geht es ihr schlechter, verstehst du, bei dir ist immer alles
devant-derriere.«
Jura und Tonja verbrachten den
halben Abend mit George und den Gastgebern hinter den Weihnachtskulissen.
Während sie mit den Swentizkis
zusammensaßen, war Lara die ganze Zeit im Saal. Obwohl sie keine Ballkleidung
trug und niemanden hier kannte, ließ sie sich bald willenlos, wie im Traum, von
Koka Kornakow herumwirbeln, bald schlenderte sie, wie im Wasser treibend, müßig
durch den Saal.
Ein paarmal hatte sie schon
unschlüssig auf der Schwelle des Salons gestanden, in der Hoffnung, der mit dem
Gesicht zum Saal sitzende Komarowski würde sie bemerken. Aber er blickte nur in
seine Karten, die er aufgefächert in der Linken hielt, und sah sie nicht oder
tat so. Lara blieb der Atem weg vor Kränkung. In diesem Moment kam ein junges
Mädchen, das ihr fremd war, aus dem Saal in den Salon. Komarowski warf ihr
einen Blick zu, den Lara bestens kannte. Das Mädchen fühlte sich geschmeichelt,
lächelte ihm zu und errötete strahlend. Bei diesem Anblick hätte Lara beinahe
aufgeschrien. Schamröte stieg ihr in Gesicht und Hals. Ein neues Opfer, dachte
sie und sah wie in einem Spiegel sich selbst und ihre ganze Geschichte. Aber
sie gab die Absicht, mit Komarowski zu sprechen, nicht auf, verschob den
Versuch auf einen günstigeren Moment, zwang sich zur Ruhe und kehrte in den
Saal zurück.
Mit Komarowski spielten am
Tisch weitere drei Personen. Der Mann neben ihm war der Vater des stutzerhaften
Lyzeumsschülers, der Lara zum Walzer aufgefordert hatte. Das schloß Lara aus
ein paar Worten, die sie beim Tanz mit ihrem Kavalier gewechselt hatte. Eine
hochgewachsene Brünette in Schwarz mit übermütig funkelnden Augen und
unangenehm schlangenhaft gestrafftem Hals, die unentwegt aus dem Salon in den
Saal ging, wo ihr Sohn tätig war, und wieder zurück in den Salon zu ihrem
spielenden Mann, war die Mutter von Koka Kornakow. Schließlich erfuhr sie durch
Zufall, daß das junge Mädchen, das
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