Boris Pasternak
der Erdboden wie ein unsicherer Sumpf. Der Fähnrich lief zunächst
vornweg, dann mitten unter ihnen, schwenkte den erhobenen Revolver und schrie
mit weit aufgerissenem Mund »Hurra«, was jedoch weder er noch seine mit ihm
laufenden Soldaten hören konnten. In berechneten Abständen warfen sich die Soldaten
zu Boden, sprangen alle gleichzeitig wieder auf und liefen mit neuen Schreien
weiter. Jedesmal, wenn sie sich hinwarfen, fielen, wenn auch ganz anders,
Getroffene längelang hin wie gefällte Bäume und standen nicht mehr auf.
»Das Feuer liegt zu weit. Rufen
Sie die Batterie an«, sagte Galiullin beunruhigt zu dem neben ihm stehenden
Artillerieoffizier. »Doch nein. Sie tun recht daran, das Feuer weiter nach
hinten zu verlegen.«
Zu diesem Zeitpunkt waren die
Angreifer schon ganz nah an den Gegner herangekommen. Das Feuer wurde
eingestellt. In der eingetretenen Stille hämmerte den Beobachtern das Herz, als
wären sie an der Stelle Antipows, führten die Leute zum österreichischen Graben
und müßten im nächsten Moment Wunder an Findigkeit und Tapferkeit vollbringen.
In diesem Moment detonierten vorn nacheinander zwei deutsche
Sechzehnzollgranaten. Schwarze Erdfontänen und Rauchwolken deckten alles nun
folgende zu.
»Ya Allah! Schluß! Aus das
Theater!« flüsterte Galiullin mit blassen Lippen, denn er glaubte, der Fähnrich
und die Soldaten wären gefallen.
Eine dritte Granate schlug
ganz in der Nähe des Beobachtungspunktes ein. Tief geduckt beeilten sich alle,
schnell wegzukommen.
Galiullin schlief mit Antipow
in demselben Unterstand. Nachdem man sich im Regiment mit dem Gedanken
abgefunden hatte, daß Antipow gefallen sei und nicht zurückkommen werde, bekam
Galiullin, der Antipow gut kannte, den Auftrag, dessen Habe an sich zu nehmen,
um sie später seiner Frau zu übergeben, von der es in Antipows Sachen viele
Fotografien gab.
Der Einjährigfreiwillige,
frischgebackene Fähnrich und Mechaniker Jussup Galiullin, Sohn des Hausmeisters
Himasetdin im Hause der Tiwersins und in ferner Vergangenheit
Schlosserlehrling, der von dem Meister Chudolejew oft verprügelt wurde, hatte
die Beförderung seinem einstigen Peiniger zu verdanken.
Nach seiner Beförderung war
Galiullin irgendwie und gegen seinen Willen auf ein warmes, sicheres Plätzchen
in einer rückwärtigen Garnison gekommen. In diesem Krähwinkel befehligte er
eine Truppe von Halbinvaliden, denen ebenso klapprige Veteranen morgens als
Instrukteure den längst vergessenen Drill wieder einbleuten. Überdies hatte
Galiullin zu prüfen, ob die Wachposten vor den Intendanturdepots richtig
aufgestellt waren. Es war ein sorgloses Leben, denn mehr wurde von ihm nicht
verlangt. Aber dann traf mit einer Ersatztruppe aus älteren Landwehrmännern,
die von Moskau zu ihm kommandiert worden waren, der ihm nur zu gut bekannte
Pjotr Chudolejew ein.
»Ah, alte Bekannte!« sagte
Galiullin mit finsterem Auflachen.
»Zu Befehl, Euer Wohlgeboren«,
antwortete Chudolejew, nahm Haltung an und salutierte. So einfach konnte das
Ganze nicht enden. Schon beim ersten Dienstvergehen schnauzte der Fähnrich den
gemeinen Soldaten an, und als er den Eindruck hatte, daß dieser ihm nicht in
die Augen, sondern irgendwohin zur Seite sah, versetzte er ihm einen
Faustschlag ins Gesicht und schickte ihn für zwei Tage und Nächte in Arrest bei
Wasser und Brot. Jetzt sah jede Handlung Galiullins nach Rache für die alten
Geschichten aus. Aber unter den Bedingungen der Knüppeldisziplin Rechnungen zu
begleichen war ein gar zu unriskantes und unedles Spiel. Was tun? Daß sie beide
beisammenblieben, war unmöglich. Doch unter welchem Vorwand konnte der Offizier
den Soldaten aus seinem Truppenteil entfernen und wohin, wenn nicht zu einer
Strafeinheit? Andererseits, wie sollte er ein eigenes Versetzungsgesuch
begründen? Unter Berufung auf die Langeweile und Nutzlosigkeit des
Garnisonsdienstes bat er, ihn an die Front zu schicken. Damit zeigte er sich
von einer guten Seite, und als er im nächsten Gefecht weitere gute
Eigenschaften sehen ließ, wurde er als mustergültiger Offizier betrachtet und
schon sehr bald vom Fähnrich zum Leutnant befördert. Galiullin kannte Antipow
aus den Zeiten bei den Tiwersins. Neunzehnhundertfünf, als Pawluscha Antipow
ein halbes Jahr bei den Tiwersins lebte, besuchte Jussup Galiullin ihn öfters
und spielte an Feiertagen mit ihm. Damals hatte er dort auch ein paarmal Lara
gesehen. Seither hatte er nichts von ihnen gehört. Als Pawel Antipow aus
Jurjatin
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