Boris Pasternak
Dunkelheit,
aber niemand antwortete ihnen.
Plötzlich hörten sie das
Klopfen an anderer Stelle, vom Hintereingang oder, wie es ihnen schien, von
einem Fenster zum Park.
»Es scheint der Wind zu sein«,
sagte Doktor Shiwago. »Aber um beruhigt zu sein, gehen Sie zum Hintereingang
und sehen nach; ich warte hier, damit wir uns nicht verfehlen, wenn da wirklich
jemand ist und es nicht eine andere Ursache hat.«
Mademoiselle verschwand im
Haus, der Arzt trat vor die Tür unter das Vordach. Seine Augen, die sich an die
Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannten die Anzeichen des beginnenden
Morgengrauens.
Über die Stadt rasten wie
verrückt Wolken, als würden sie verfolgt. Fetzen von ihnen flogen so niedrig,
daß sie beinahe in den Bäumen hängenblieben, die sich in dieselbe Richtung
neigten, so daß es aussah, als fegten biegsame Besen den Himmel. Der Regen
peitschte gegen die Holzwand des Hauses, die nicht mehr grau, sondern schwarz
war.
»Na?« fragte der Arzt die
zurückgekehrte Mademoiselle.
»Sie hatten recht. Niemand
da.« Sie erzählte, sie sei durch das ganze Haus gegangen. Im Büfettzimmer habe
ein abgebrochener Lindenast ein Fenster zerschlagen, auf dem Fußboden stehe
eine große Pfütze, ebenso in Schwester Antipowas ehemaligem Zimmer, ein förmliches
Meer, ein ganzer Ozean.
»Hier hat sich ein
Fensterladen losgerissen, er schlägt gegen den Rahmen. Sehen Sie? Da haben wir
die Erklärung.«
Sie sprachen noch ein
Weilchen, verschlossen die Tür und trennten sich dann, um schlafen zu gehen;
beide bedauerten, daß es falscher Alarm gewesen war.
Sie waren überzeugt gewesen,
wenn sie die Haustür öffneten, würde die Frau, die sie so gut kannten,
hereinkommen, naß bis auf die Haut und durchgefroren, und sie würden sie mit
Fragen überhäufen, während sie sich abklopfte. Später würde sie umgekleidet
wieder erscheinen, sich an dem noch nicht erkalteten Küchenherd wärmen, ihnen
von ihren zahllosen Mißgeschicken erzählen und sich lachend die Haare richten.
Davon waren sie so überzeugt
gewesen, daß eine Spur dieser Überzeugung, nachdem sie die Haustür geschlossen
hatten, draußen hinter der Hausecke blieb in Gestalt eines Wasserzeichens
dieser Frau oder ihres Bildes, das sie weiterhin dort zu sehen glaubten.
Indirekt schuldig an den
Soldatenunruhen auf der Station war der Birjutschier Telegrafist Kolja
Frolenko.
Kolja war der Sohn des
bekannten Meljusejewer Uhrmachers. In der Stadt kannte man ihn von klein auf.
Als Junge war er Gast bei Leuten vom Gesinde des Gutes »Freies Leben« gewesen
und hatte unter Mademoiselles Aufsicht mit ihren beiden Zöglingen, den Töchtern
der Gräfin, gespielt. Mademoiselle kannte ihn gut. Damals verstand er bereits
ein wenig Französisch.
Die Meljusejewer waren es
gewöhnt, Kolja bei jedem Wetter in leichter Kleidung, ohne Mütze und mit
Sommerschuhen, radfahren zu sehen. Freihändig, die Arme auf der Brust gekreuzt,
radelte er auf der Chaussee und in der Stadt, den Blick auf den Masten und
Leitungen, um den Zustand des Netzes zu kontrollieren.
Eine Zweigleitung des
Telefonnetzes der Eisenbahn verband einige Häuser der Stadt mit der Station.
Sie wurde von Kolja im Stellwerk des Bahnhofs verwaltet.
Dort war er mit Arbeit
überhäuft: Eisenbahntelegraf, Telefon, manchmal, wenn der Stationsleiter
Powarichin für kurze Zeit wegging, auch die Signalübermittlung und die
Blockschaltung, deren Geräte sich ebenfalls im Stellwerk befanden.
Die Notwendigkeit, mehrere
Apparate gleichzeitig zu überwachen, hatte bei Kolja zu einer besonderen
Sprechweise geführt — verschwommen, abgerissen und rätselhaft. Kolja bediente
sich ihrer, wenn er jemandem nicht antworten wollte oder keine Lust zu einem
Gespräch hatte. Es hieß, am Tag der Unruhen habe er dieses Recht mißbraucht.
Kolja hatte die guten
Absichten Galiullins zunichte gemacht, der aus der Stadt anrief und vielleicht
gegen seinen Willen den folgenden Ereignissen ihre verhängnisvolle Richtung
gab.
Galiullin bat ihn, den
Kommissar an den Apparat zu rufen, der irgendwo auf dem Bahnhof oder in der
Nähe sein mußte, denn er wollte ihm sagen, er komme jetzt zu ihm auf den Kahlschlag,
und der Kommissar solle ohne ihn nichts unternehmen. Kolja aber weigerte sich,
Hinz an den Apparat zu holen, unter dem Vorwand, die Leitung sei durch die
Signalgebung für einen nach Birjutschi fahrenden Zug besetzt, dabei hielt er in
diesem Moment den Zug, der die angeforderten Kosaken nach Birjutschi bringen
sollte, mit allen
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