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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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möglichen wahren und unwahren Begründungen auf der
benachbarten Ausweichstelle fest.
    Als der Transportzug dennoch
eintraf, konnte Kolja sein Mißvergnügen nicht verbergen.
    Die Lokomotive rollte langsam
unter das dunkle Bahnsteigdach und hielt genau gegenüber dem großen Fenster des
Stellwerks. Kolja riß den schweren Vorhang aus dunkelblauem Tuch mit den an den
Kanten eingewebten Eisenbahninitialen weit zurück. Auf dem steinernen
Fenstersims standen eine große Karaffe mit Wasser und ein kantig geschliffenes
dickes Trinkglas auf einem großen Tablett. Kolja goß sich Wasser ein, trank
ein paar Schlucke und blickte zum Fenster hinaus.
    Der Lokführer bemerkte Kolja
und nickte ihm freundschaftlich zu. Stinkender Dreckskerl, Baumwanze! dachte
Kolja voller Haß, streckte dem Lokführer die Zunge raus und drohte ihm mit der
Faust. Der Lokführer verstand Koljas Mimik sehr wohl und gab ihm mit einem
Achselzucken und einem Drehen seines Kopfes zu den Waggons hin zu verstehen:
Was soll ich machen? Versuch's mal. Er hat die Macht. - Trotzdem, du bist ein
Dreck und ein Halunke, antwortete Kolja mimisch.
    Die Pferde sollten ausgeladen
werden. Sie scheuten, wollten nicht vorwärts. Das dumpfe Klappern der Hufe auf
den hölzernen Entladerampen wurde abgelöst vom Klackern der Hufeisen auf dem
Bahnsteig. Die sich bäumenden Pferde wurden über mehrere Gleise geführt.
    Diese endeten bei zwei Reihen
verrottender Waggons auf zwei grasüberwucherten rostigen Gleisen. Die
Zerstörung der Holzwände, von denen Regengüsse die Farbe abgewaschen hatten und
an denen Würmer und Nässe nagten, hatte den ramponierten Waggons die einstige
Verwandtschaft mit dem rohen Holz des Waldes zurückgegeben, der gleich dahinter
anfing. Die Birken waren von Porlingen befallen, darüber türmten sich Wolken.
    Am Waldrand saßen die Kosaken
auf Kommando auf und sprengten zu den Kahlschlägen.
    Die Meuterer des 212.
Regiments wurden umstellt. Berittene sehen zwischen Bäumen immer größer und
eindrucksvoller aus als auf freiem Feld. Sie beeindruckten die Soldaten, obwohl
diese selber bewaffnet waren. Die Kosaken zogen die Säbel.
    Mitten im geschlossenen Kreis
der Reiter stieg Hinz auf einen Holzstapel, den er durch Rütteln etwas geebnet
hatte, und wandte sich mit einer Rede an die Umstellten.
    Wieder sprach er nach seiner
Gewohnheit von der Soldatenpflicht, von der Bedeutung der Heimat und von
anderen erhabenen Dingen. Diese Begriffe fanden hier keine Sympathie. Die Leute
hatten im Krieg viel durchgemacht, sie waren müde und verroht. Die Worte, die
Hinz sprach, hingen ihnen längst zum Halse heraus. Die Schmeichelreden von
rechts und von links, die sie sich seit vier Monaten anhören mußten, hatten sie
demoralisiert. Sie waren einfache Menschen, und der nichtrussische Name des
Redners und seine baltische Aussprache gingen ihnen auf die Nerven.
    Hinz spürte, daß er zu lange
sprach, und ärgerte sich über sich selbst, aber er glaubte, sich seinen
Zuhörern so besser verständlich zu machen. Statt mit Dankbarkeit lohnten sie es
ihm mit Gleichgültigkeit und feindseliger Gelangweiltheit. Dadurch immer
gereizter, schlug er härtere Töne an und stieß Drohungen aus, die er in Reserve
hatte. Ohne auf das anschwellende Murren zu achten, rief er den Soldaten in
Erinnerung, daß es militärische Revolutionsgerichte gab, die schon arbeiteten,
und forderte sie unter Androhung der Todesstrafe auf, die Waffen niederzulegen
und die Rädelsführer auszuliefern. Täten sie das nicht, sagte Hinz, so bewiesen
sie damit, daß sie gemeine Verräter seien, Gesindel ohne politisches
Bewußtsein, überhebliches Pack. An diesen Ton waren die Leute nicht mehr
gewöhnt.
    Mehrere hundert Stimmen
brüllten los. »Schluß. Genug. Hör auf«, riefen sie im Baß und fast ohne Zorn.
Aber es ertönten auch hysterische Schreie, die vor Haß in den Diskant
abkippten. Ihnen wurde zugehört. Sie schrien: »Habt Ihr das gehört, Genossen,
wie der uns beschimpft? Wie in der alten Zeit! Die Offiziersmanieren sind noch
immer nicht ausgerottet! Verräter sollen wir sein? Was bist du denn selber für
einer, Euer Wohlgeboren? Aber wozu noch lange Federlesens machen. Ihr seht
doch, das ist ein Deutscher, ein Beauftragter. He, du, zeig deine Papiere,
blaues Blut! Und ihr, was sperrt ihr das Maul auf, ihr Friedensstifter? Fesselt
uns doch, freßt uns auf!«
    Aber auch den Kosaken mißfiel
die verunglückte Rede des Kommissars immer mehr. »Die sind alle freche Hunde
und Mistkerle. So

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