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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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ein feiner Herr«, flüsterten sie untereinander. Zunächst
einzeln, dann in immer größerer Zahl steckten sie den Säbel in die Scheide.
Einer nach dem andern stieg aus dem Sattel. Als eine hinlängliche Zahl
abgesessen war, verstreuten sie sich auf dem Kahlschlag unter den
Zweihundertzwölfern. Alle vermischten sich. Es kam zur Verbrüderung.
    »Sie sollten hier unauffällig
verschwinden«, sagten die Kosakenoffiziere beunruhigt zu Hinz. »Ihr Wagen steht
am Bahnübergang. Wir schicken jemand hin, Bescheid sagen, daß er hergeholt
wird. Gehen Sie rasch.«
    Hinz befolgte den Rat, aber da
die heimliche Flucht ihn würdelos dünkte, begab er sich ohne die erforderliche
Vorsicht, fast offen zur Bahnstation. Er war schrecklich aufgeregt, doch aus
Stolz zwang er sich, ruhig zu gehen.
    Er hatte es nicht mehr weit
zur Station, an die sich der Wald anschloß. Am Waldrand, wo er die Gleise schon
sehen konnte, drehte er sich das erstemal um. Soldaten mit Gewehren folgten
ihm. Was wollen die? dachte er und legte einen Schritt zu.
    Seine Verfolger taten das
gleiche. Der Abstand zwischen ihnen und Hinz verringerte sich nicht. Der
Kommissar stieß auf die doppelte Reihe der ramponierten Waggons. Nachdem er sie
umgangen hatte, lief er los. Der Zug, der die Kosaken hergebracht hatte, war
auf ein anderes Gleis gefahren worden. Der Bahnhof war frei. Laufend überquerte
Hinz die Gleise.
    Aus dem Anlauf sprang er auf
den hohen Bahnsteig. In diesem Moment kamen seine Verfolger hinter den
Waggonruinen hervorgelaufen. Kolja und Powarichin riefen Hinz etwas zu und
machten ihm Zeichen, ins Bahnhofsgebäude zu kommen, wo sie ihn in Sicherheit
bringen konnten.
    Aber wieder versperrte ihm das
in Generationen anerzogene Ehrgefühl, großstädtisch, opferbereit, hier jedoch
unangebracht, den Weg zur Rettung. Mit einer übermenschlichen Willensanspannung
bemühte er sich, sein ängstliches Herzklopfen zu unterdrücken. Ich muß ihnen
zurufen: Brüder, besinnt euch, ich bin doch kein Spion! dachte er. Ich muß
ihnen etwas Ernüchterndes, zu Herzen Gehendes sagen, was sie zurückhält.
    In den letzten Monaten hatte
sich bei ihm das Gefühl der Heldentat, des Aufschreis der Seele unbewußt mit
Holzgerüsten und Tribünen verbunden, mit Stühlen, auf die man springen konnte,
um der versammelten Menge einen Appell, etwas Zündendes zuzurufen.
    Neben der Bahnhofstür, unter
der Stationsglocke stand ein hohes Wasserfaß zum Feuerlöschen mit festem
Deckel. Hinz schwang sich hinauf und richtete an die Näherkommenden ein paar zu
Herzen gehende Worte, übermenschliche und zusammenhanglose. Die Tollkühnheit,
mit der er sich zwei Schritte von der offenen Bahnhofstür, durch die er ja
hätte flüchten können, an sie wandte, verblüffte sie und ließ sie
stehenbleiben. Sie senkten die Gewehre.
    Aber da trat Hinz auf den Rand
des Deckels, der umkippte. Das eine Bein geriet ins Wasser, das andere blieb am
Rand der Tonne hängen, auf deren Kante er nun saß.
    Auf diese Ungeschicklichkeit
reagierten die Soldaten mit einer Gelächterexplosion. Der Vorderste tötete den
Unglücklichen mit einem Schuß in den Hals, die anderen stachen mit ihren
Bajonetten auf den Toten ein.
     
    Mademoiselle rief Koija an, um
ihm zu sagen, er solle Doktor Shiwago in einem Zug bequem unterbringen, und ihm
widrigenfalls unangenehme Enthüllungen anzudrohen.
    Während Kolja ihr antwortete,
führte er nach seiner Gewohnheit zugleich ein zweites Telefonat, und nach den
Dezimalbrüchen zu urteilen, die seine Rede sprenkelten, gab er etwas
Chiffriertes an eine dritte Stelle durch.
    »Pskow, Komossew, hörst du
mich? Was für Meuterer? Was für eine Hand? Was sagen Sie, Mademoiselle?
Schwindel, Chiromantie. Lassen Sie mich in Ruhe, legen Sie auf, Sie stören
mich. Pskow, Komossew, Pskow. Sechsunddreißig Komma null null fünfzehn. Ach,
die Hunde sollen euch fressen, jetzt ist mir der Mitlaufstreifen gerissen. Was?
Was? Ich verstehe nicht. Schon wieder Sie, Mademoiselle? Ich habe Ihnen doch
deutlich gesagt, ich kann nicht, es geht nicht. Wenden Sie sich an Powarichin.
Schwindel, Chiromantie. Sechsunddreißig... verdammt, lassen Sie mich in Ruhe,
Mademoiselle.«
    Aber Mademoiselle sagte:
»Streu mir keinen Sand in die Augen mit deinem Chiroman, Pskow und Pskow,
Chiroman, sonst entlarve ich dich in aller Öffentlichkeit. Du wirst morgen
Doktor Shiwago in den Waggon setzen, mehr habe ich einem Mörder und Judas und
Verräter nicht zu sagen.«
     
    Als Doktor Shiwago abreiste,
war es

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