Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (German Edition)
war ein Samstagabend, der 25. Februar 2006, und ich hatte noch 24 Stunden Zeit, um Caballo wiederzufinden.
Sobald Caballo Scott Jureks Antwort hatte, begann er mit einem logistischen Drahtseilakt. Ihm blieb nur ein sehr kleiner Zeitrahmen, denn das Rennen konnte nicht während der herbstlichen Erntezeit stattfinden, auch nicht während der Regenzeit im Winter oder in der brütenden Sommerhitze, wenn viele Tarahumara in kühlere Höhlen in höheren Lagen des Canyons umziehen. Caballo musste sich auch von der Weihnachtszeit fernhalten, ebenso von der Osterwoche, von der Fiesta Guadalupana und von mindestens einem halben Dutzend traditioneller Hochzeitswochenenden.
Caballo kam schließlich zu dem Ergebnis, er könne das Rennen am Sonntag, dem 5. März, unterbringen. Dann begann die wirklich knifflige Arbeit: Er hatte kaum die Zeit, die er brauchen würde, um von Dorf zu Dorf zu ziehen und dort die Rennlogistik auszurufen, also musste er Zeit und Ort für ein Treffen der Tarahumara-Läufer mit uns genau festlegen, und von diesem Treffpunkt aus sollten wir dann zum Wettkampfort marschieren. Wenn er sich verrechnete, war die Sache gelaufen; es würde schon enorme Mühe bereiten, auch nur einen Tarahumara zum Erscheinen zu bewegen, und wenn sie dann zum Treffpunkt kamen, und wir waren nicht da, würden sie wieder nach Hause gehen.
Caballo hatte den Zeitplan nach bestem Wissen überschlagen, dann war er in die Canyons gegangen, um die Nachricht zu überbringen, wie er mir einige Wochen später schrieb:
Bin heute etwa 50 Kilometer ins Tarahumara-Land reingelaufen und wieder zurück, wie der Kurier, der ich nun einmal bin. Die Botschaft trieb mich stärker an als der Beutel mit Pinole in meiner Tasche. Hatte das Glück, Manuel Luna und Felipe Quimare auf demselben Rundgang an ein und demselben Tag zu treffen. Als ich mit den beiden sprach, spürte ich die Aufregung, die sogar in Manuels würdevollem Geronimo-Gesicht zu lesen war.
Während sich die Dinge für Caballo günstig entwickelten, war mein Anteil an der Operation aberwitzig kompliziert. Sobald in Insiderkreisen die Nachricht kursierte, dass Jurek sich möglicherweise mit den Tarahumara messen würde, wollten plötzlich auch andere ltralangstreckenläufer mit von der Partie sein. Aber niemand konnte im Voraus sagen, wie viele von ihnen tatsächlich auftauchen würden – und diese Zweifel bezogen sich durchaus auch auf die Hauptattraktion selbst.
Scott hatte, ganz nach seiner Gewohnheit, nur sehr wenigen Leuten erzählt, was er im Schilde führte, deshalb verbreitete sich die Nachricht von diesem Plan erst wenig mehr als einen Monat vor dem Renntermin. Er ließ selbst mich im Unklaren, und ich war doch so etwas wie sein Kontaktmann; Scott schrieb mir ein paar E-Mails mit Fragen zur Anreise, aber als der kritische Zeitraum näherrückte, verschwand er plötzlich vom Radarschirm. Zwei Wochen vor dem Renntermin sah ich zu meiner Verblüffung eine Nachricht im Internetforum von Runner’s World . Ein Läufer aus Texas hatte sie geschrieben, der einen Schock bekommen hatte, als er am Start des Austin Marathon ganz plötzlich und unvermittelt neben Amerikas größtem Ultralangstreckenläufer stand – der sich zugleich auch für den Titel des am zurückgezogensten lebenden Vertreters dieser Sportart bewerben könnte.
Austin? Nach der letzten Nachricht, die mich erreicht hatte, müsste Scott genau zu diesem Zeitpunkt 3200 Kilometer von dieser Stadt entfernt sein und den mexikanischen Bundesstaat Baja California durchqueren, um dann in den Zug zu steigen, der von der Pazifikküste nach Chihuahua fuhr und ihn nach Creel bringen sollte. Und was hatte er in Austin beim Stadtmarathon zu tun, warum flog Scott wegen eines Universitäts-Straßenrennens einen solchen Umweg, wenn er eigentlich an der Feinabstimmung für den Showdown seines Lebens arbeiten sollte, der ihn auf Gebirgspfade führte? Zweifellos verfolgte er damit irgendein Ziel. Und wie üblich behielt er seine strategischen Überlegungen für sich.
Bis zu meiner Ankunft in El Paso, Texas, an jenem Samstag hatte ich also keine Ahnung, ob ich nun einen ganzen Zug anführen würde oder solo losziehen musste. Ich checkte im Airport-Hilton ein, traf die Vorbereitungen für eine Fahrt über die Grenze um 5 Uhr am nächsten Morgen und fuhr dann wieder zum Flughafen zurück. Ich war ziemlich sicher, dass ich meine Zeit verschwendete, aber es gab eine gewisse Chance, dass ich dort auf Jenn »Mookie« Shelton und Billy
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