Bosmans/Deleu 03 -Ins blanke Messer
Muss.
Verstappens Blick blieb an seinem Kollegen hängen. Pierre fiel auf wie ein bunter Hund in seinem verschwitzten Oberhemd mit dem zu engen Kragen, der schmuddeligen Leinenhose mit hochgekrempelten Beinen und seinen verstaubten Lederschuhen, deren winterlich anmutende Schnürsenkel so gar nicht zu den Luftlöchern passten. Pierre ignorierte die hämischen Blicke und ging auf den Barkeeper zu, einen blassen jungen Mann, der lässig mit verschränkten Armen hinter dem Tresen stand.
»Ja, Opa?«
»Ist hier ein gewisser Tim De Meyer?«
»Wer will das wissen?«
Pierre betrachtete das grelle Plakat von The Factory, ärgerte sich über Andy Warhols Frisur und hielt dem auf modisch getrimmten Lackaffen seine Marke unter die Nase.
»Idiot!«, zischte Verstappen, der hinter ihm stand.
»Habe ich das Recht zu schweigen?«, frotzelte der Barkeeper, wobei er sich mit einer Hand durch die grüngefärbten Haare fuhr und sich mit der anderen an die Brust griff. Pierre ließ sich von dem misslungenen Schauspielakt nicht aus der Ruhe bringen.
»Kann ich mal Ihre Ausweise sehen?«, fragte der junge Mann dreist grinsend.
Statt einer Antwort griff Pierre nach einem Schnapsglas hinter dem Tresen und roch daran. »Klar, wenn ich dann mal Ihre Schankgenehmigung für Hochprozentiges sehen dürfte?«
Der Grüngefärbte wurde noch eine Schattierung blasser.
»Tim? Hier will dich jemand sprechen.«
Ein schlanker junger Mann in einem grünen T-Shirt schaute sich um. »Was ist, Roger?«
Seine Augen funkelten amüsiert, als er Pierre erblickte.
Die Sommersprossen auf seiner Stupsnase betonten die tiefliegenden Augen.
»Diese Herren hier wollen dich sprechen.«
Der junge Mann antwortete nicht, sondern drehte sich um und widmete sich wieder ganz dem bildschönen Mädchen, das neben ihm auf einem Barhocker saß.
In einem Augenwinkel Rasha Benaoubis glitzerte eine Träne. Tim De Meyer beugte sich nach vorn und leckte sie weg. Bei der Bewegung rutschte das T-Shirt hoch, und Pierre starrte mit offenem Mund auf die bunten Boxer-shorts mit Mickey-Maus-Motiv, die darunter hervorblitzten. Die Shorts waren bis tief auf die Hüften gezogen und knapp über dem Hintern mit einem schwarzen Armeegürtel festgezurrt, die Gesäßpartie hing ihm in den Kniekehlen. Das marokkanische Mädchen hatte ihm die linke Hand um den Hals gelegt, ihre rechte war nirgendwo zu sehen.
Nachdem sich Pierre von seinem Schock erholt hatte, lief er hölzern auf die beiden zu, doch Verstappen griff ihn an der Schulter und hielt ihn zurück.
»Reg dich nicht auf. Die wollen keinen brüskieren. Das ist eben die Mode heutzutage.«
Pierre sah seinen Partner verständnislos an, riss sich los und tippte dem jungen Mann auf die Schulter. »Tim De Meyer?«
»Ja? Was wollen Sie von mir?« Der junge Mann trug eine enge Halskette. Drei Holzperlen wippten beim Sprechen auf seinem Adamsapfel auf und nieder.
»Wir müssen mit Ihnen reden. Im Zusammenhang mit Yussuf Benaoubi.«
Das dunkelhaarige Mädchen, das die linke Hand inzwischen auf das Knie des jungen Mannes gelegt hatte, erstarrte bei seinen Worten.
Erst auf dem Rücksitz des Streifenwagens brachte die junge Frau den ersten Ton hervor. Der blonde junge Mann mit den abstehenden Haaren starrte noch immer stumm vor sich hin, den Blick ins Unendliche gerichtet und mit einem verbitterten Zug um den Mund.
»Sie sind also Rasha Benaoubi, Yussufs Schwester?«, fragte Verstappen sanft. »Es tut uns sehr leid, aber wir brauchen dringend einige Auskünfte.«
»Werden Sie in Ihrem Bericht erwähnen, dass Rasha mit mir zusammen war?«, flüsterte Tim De Meyer schließlich.
»In unserem Bericht wird alles erwähnt«, antwortete Verstappen.
»Hören Sie. Wenn Rashas Eltern erfahren, dass sie sich mit mir trifft, bekommt sie die größten Schwierigkeiten. Wissen Sie, was dann passiert?«
Die Polizisten antworteten nicht.
»Okay. Ich biete Ihnen Informationen im Tausch gegen Stillschweigen an.«
»Abgemacht«, sagte Pierre, ohne sich umzudrehen. »Legen Sie los. Rauchen Sie auch ab und zu einen Joint? Oder werfen Pillen ein? Sie können es mir ruhig erzählen. Alles streng vertraulich.«
Der Ermittler zwinkerte ihm zu und erkannte, dass es dem Jungen schwerfiel, ihn richtig einzuschätzen. Das junge Mädchen dagegen lächelte sogar ansatzweise.
»Tim ist
straightedge
«, erklärte sie leise. »Abstinenzler.
Straightedgers
verachten Drogen. Sie meiden auch tierische Nahrungsmittel, Alkohol und Zigaretten.«
»Und haben
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