Bostjans Flug - Roman
auch der ermattende Kräuel der Haushälterin und die Hitze, die sie quälte, waren ihm ganz fern. Er durchquerte die Kirche in verschiedenen Richtungen und kühlte sich ab, berauschte sich an der verbrauchten Luft, die nach Kerzen und Weihrauch roch. Noch immer türmten sich die Ausdünstungen auf dem Staubgeflimmer, stauten sich die Abgasschwaden über dem Gestühl, noch immer verflockten sich die Seufzer der Märtyrer, aus Vorzeiten herbeigerufen, und vermischten sich mit den gegenwärtigeren Stoßgebeten und Klagen des vorigen Sonntags, mit trügerischen Hoffnungen, längst erschöpften und nur noch quälenden Illusionen.
Die Kirche St. Marjeta ist mehr als nur ein Bauwerk, sie ist ein Bestandteil der dörflichen Ganzheit; in Holz gebaut, in Stein gemauert und im Geiste aufgerichtet, ist sie darüber hinaus eine prächtige kleine Akropolis des Höheren und Nichtalltäglichen, eine sichtbare Festung des Unsichtbaren im Dorf. Stehen die anderen Gebäude sozusagen für die Dauben und die Schrauben, so sind ihr Metier die Dogmen und die Dramen. Hierher kommen die Menschen, um ihre bessere Seite zur Schau
zu stellen, die für die Öffentlichkeit bestimmte, um ihr anderes Gesicht zu zeigen, hier werden die Hosen und Schuhsohlen gewetzt, und meistens ist ihre Anwesenheit nicht viel mehr als ein Nickerchen unter dem Chor, ein Herumstehen beim Tor, nicht mehr als ein nach Geschlechtern getrenntes Sitzen in den Bänken. Jeder Fremde, der seinen Fuß in die Kirche setzt, um sich die Fresken anzuschauen, vermag sogleich, wenn er nur eine Spur von einem katholischen Riecher hat, die männlichen von den weiblichen Säulen zu unterscheiden. Unablässig hängt das Geläute in der Luft, dreimal am Tag stellt man die Uhr danach, und neben alldem läßt die Kirche keine Gelegenheit aus, sich ins Gedächtnis zu rufen, sich mit Zeremonien und in grauer Vorzeit zusammengestohlenen und zusammengeschusterten Bräuchen zu behelfen, mit Drohungen und Einschüchterungen ins alltägliche Handeln einzugreifen. Die Dogmen und Dramen der Feiertage ergänzen die Dauben und Schrauben der Werktage. Hierher geht man, um sich das Paradies zu sichern, nicht um sich zu entschuldigen und um Vergebung zu bitten für die Mißhandlungen von Frauen und Kindern, sondern um sich zu rechtfertigen für die Niedertracht, um sich zu ermutigen für neue Rabiatheiten, hierher geht man, um Pech und Mißgeschick abzuwenden, nicht von den Menschen, sondern von Vieh und Gebäuden, hier beten die Fanatikerinnen, mit geschlossenen, zusammengepreßten Augen, verbissen, mit verzerrtem Ausdruck, um mehr zu erzwingen, die besten Stücke herauszuschlagen, und was sie herausschlagen, das bringen sie wieder ins Beten ein, es ist ein Faß ohne Boden, im Gegensatz zu den Männern, denen dabei kein Zahn locker wird. Doch Pech und Mißgeschick lassen sich nicht vertreiben, fährt es Boštjan durch den Kopf, während er auf dem Gang herum
steht, in einem Sieb tragen sie das Wasser, in einem löchrigen Topf wärmen sie den Brei auf; Übel und Plagen bleiben nicht aus, niemand hält die Wut des Gewitters in den Felsen auf, niemand bremst die Zerstörungskraft der Erdlawinen, niemand nimmt dem Feuer seine vernichtende Macht, niemand hält die Bösewichte und die Heimlichtuer zurück, keine Gottheit tilgt Ugavs Eingriffe ins Innerste des Dorfes. Im Vorjahr waren die Lawinen nachsichtig, ihre Zahl hat sich verringert, aber auch Schnee war nicht viel, ihre Gewalt hat keine größeren Schäden angerichtet, dafür haben sich die Unfälle im Stall und auf der Weide verdoppelt. Was sie durch eine Fürbitte auf dem Steilhang vermeiden, stößt ihnen im Flachland zu, was sie rechts aufstapeln, geht ihnen links verloren. Durch solche Knüppel lassen sich die Bergler in ihrem Eifer nicht erschüttern, kniend stecken sie die Prügel ein und bedanken sich für die Schläge, für die unerfüllten Versprechungen, für die Mißgeschicke, und kommen, als wäre es gar nichts, weiterhin her, um die Naturgesetze und die Launen des Wetters abzuschaffen und wie um die Wette dem ganzen Schwachsinn und dem unverbindlichen Gerede, dem nutzlosen, unbrauchbaren Geschwätz auf den Leim zu gehen. Boštjan ist selbst nicht anders, auch er kommt hierher, weil er sich davon etwas verspricht, und wirft aus dem Hinterhalt, aus der sicheren Herde der Schafe und Widder, seine Netze nach Lina aus. Von nirgends will sich in ihn etwas Jenseitiges einschleichen. Die Zwischenfälle der Woche und der tägliche Kleinkram
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