Boten des Lichts, Die Auserwählten (German Edition)
strömte.
Er öffnete sein Herz für das Leid all jener, die von einer Macht besessen waren, die über jeden Verstand hinausging. Er hörte ihre Namen, lauschte ihren stillen Gebeten. Und tatsächlich unterschied er sofort zwei Stimmen: eine unterwürfige, gefangene, die aus der Tiefe des Abgrunds um Gnade flehte. Und eine harte, herrische, die diese aufkeimenden Willenskräfte zermalmte und in ihre Schranken wies.
Herrscher und Sklaven. Täter und Opfer. Dämonen und ihre Beute.
»Ich höre euch«, sagte er und hob ihnen die Hände entgegen in dem Versuch, beide Stimmen voneinander zu trennen. Das Leid der Gefangenen umzuleiten und in eine Waffe zu verwandeln, mit der sie die Dämonen schlagen konnten.
Es wirkte. Wenn es ihm auch nicht gelang, den Bann zu lösen, der all die Seelen gefangen hielt, so schaffte er es doch, die Zombies zu verscheuchen. Sie stoben vom Platz, als hätten sie in ihm die Summe all ihrer Ängste gesehen.
»Wie hast du denn das angestellt?«, fragte Tanya verblüfft.
Mauro lächelte süffisant. »Wir Magier verraten unsere Zaubertricks nicht, Mädchen.«
»Und meine Eltern?«
»Ich kann sie nicht befreien. Du musst auf Séfora vertrauen.«
Tanya hakte nicht nach. Es genügte ihr zu wissen, dass sich die Besessenen entfernt hatten und sie zumindest einen Moment in Ruhe lassen würden.
Mauro bot sich als Räuberleiter an, damit Tanya zu Erik hinaufklettern konnte. Als sie den Gefesselten berührte, schlug er ein blutunterlaufenes Auge auf.
»Du meine Güte«, murmelte Tanya. »Was haben sie denn mit dir gemacht?«
Ihm gelang ein gequältes Lächeln.
»Keine Sorge. Ich habe ihnen … nicht verraten, wo der Mikrofilm ist.«
»Hör mit dem Unsinn auf«, tadelte sie ihn und konzentrierte sich auf seine Wunden. Die weiße Magie setzte etwas weit Größeres als eine Heilung in Gang: eine Art von Übertragung, die Tanya in einen Katalysator allen Leidens, all der Verletzungen des Fleisches und des Geistes verwandelte und ihr die Macht gab, sie von ihm zurückzunehmen.
Tanya heulte vor Schmerzen. Aber als sie schließlich wieder die Augen öffnete, war ein Großteil von Eriks Wunden verschwunden. Nur das Bein sah immer noch schlecht aus, wenn auch nicht mehr ganz so schlimm wie zuvor.
»Wow!«, rief Erik erstaunt. »Barkeeper, noch einen von dem, bitte.«
»Nicht jetzt. Wir müssen Séfora helfen.«
»Ich habe ihn gesehen, Tanya. Er stand direkt vor mir«, flüsterte Erik ihr zu, während sie sich darauf konzentrierte, die Stricke zu lockern. »Der Desmodu. Er ist sehr, sehr mächtig. Viel mächtiger als Séfora.«
»Ein Grund mehr, dass wir uns beeilen, oder?«
Da packte sie jemand am Knöchel. Der Griff war so fest wie der einer Zange.
Beinahe wäre Tanya vom Dach gestürzt, hätte Erik sie nicht in letzter Sekunde festgehalten. Tanya blickte hinunter und stellte mit Grausen fest, dass die Zombies zurückkehrten, sosehr sich Mauro auch anstrengte, sie auf Distanz zu halten.
Am meisten erschreckte sie jedoch die Identität der Kreatur, die sie am Bein gepackt hatte: Eine blasse, rundliche Gestalt in einer schlecht sitzenden Hose, die aussah, als hätten sich darunter ein paar lange Unterhosen zusammengeschoben.
Ihr Großvater.
Séfora wusste, dass sie diesem hohen Angriffstempo nicht lange standhalten konnte, aber ihr fiel einfach nichts Besseres ein. Eigentlich hatte es der Desmodu ja nicht auf sie abgesehen, sondern auf ihre Schützlinge. Aber er wusste genau, wer von seinen Gegnern der Mächtigste war, und zog es vor, sich erst einmal Séfora vom Leib zu schaffen.
Dieser Desmodu war kein normaler Teufel. Sie hatte sich zuerst von seinem Schwert täuschen lassen, ein entartetes Schwert-Zeichen, wie sie dachte, das unter den Waffen der Dämonen nicht ungewöhnlich war. Deshalb hatte sie angenommen, seine Qualitäten seien mit denen anderer Schwerter, gegen die sie bereits gekämpft hatte, vergleichbar.
Plötzlich hatte sich das Schwert aber verändert. Es nahm eine neue, beunruhigende Form an, die nicht dem Schmelztiegel der Hölle entsprungen war, sondern einer offenen Wunde in der Realität. In der Tat hatte der Desmodu die Waffe nicht aus der Scheide gezogen, sondern sie sich aus dem Körper herausgerissen . Das Schwert war eine extrem hässliche Narbe von zwei Metern Länge, die zuvor quer über den Körper des Teufels verlaufen war. In dem Moment, als er sie sich herausriss, wurde die Narbe fest und hart wie Metall und verdarb mit seiner bloßen Präsenz die Substanz
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