Botschaft des Schreckens
Obgleich Joe mich nicht ansah, glaubte ich ihn jetzt besser zu verstehen. Auch ihn mußte die Angst bedrücken. Schweigend gingen wir zur Vorderfront der Hacienda zurück. Abuelas Blick fiel auf die goldenen Rosen, die sich im Wind wiegten. »Warten Sie, Joe«, sagte sie. »Bringen Sie Ihre Schere. Ich möchte Sally einen Strauß meiner Rosen geben. Vielleicht werden sie und ich nicht wieder hier zusammen sein.« Erst als sie ihre Bitte auf Spanisch wiederholte, kam Joe ihr nach, brachte die Schere und schnitt einen Arm voll Rosen ab. »Seltsam«, sagte sie ruhig, »um diese Zeit sind sie immer am schönsten… ihre goldene Farbe am tiefsten. Kurz bevor ihre Blütenblätter fallen.«
Dachte sie vielleicht daran, daß auch die Hacienda auf dem Höhepunkt ihrer Blüte war? Sollte sie dies als Omen betrachten, daß auch die Hacienda untergehen würde? Ich wußte es nicht. Plötzlich kamen mir Rosas Worte in den Sinn: »Es gibt keine Bande.« Und dann das, was Abuela gesagt hatte: »Vielleicht werden sie und ich nicht wieder hier zusammen sein…« Ein Widerspruch lag darin, und nur eine der beiden Stimmen konnte recht haben. Ich öffnete das schwere Portal, und wir traten in die dunkle Hacienda.
12
Von Carlos und seinen Brüdern war nichts zu sehen. »Ich brauche Ruhe«, sagte Abuela. »Aber vorher will ich noch Rosa sagen, daß sie Ihnen und mir mittags comida auf unsere Zimmer bringen soll. Heute ist es wohl besser…«
»Gut«, sagte ich. »Und was Ihre Enkel betrifft… Sie brauchen nicht zu befürchten, daß ich sie noch einmal verletze. Ich glaube ja nicht, daß sie wirklich so empfindlich sind. Aber wenn Sie sich über mich Gedanken machen, dann muß das doch heißen, daß Sie wenigstens eine gringa ein bißchen mögen. Verdad?«.
»Verdad«, nickte Abuela. »Ich freue mich, daß Sie hier sind, Sally.« Ihre Miene verdüsterte sich, und sie verstummte. »Sie werden mir fehlen.« Wieder schwieg sie. Dann sagte sie schließlich: »Meine Enkel können die Hacienda Montera verteidigen. Vergessen Sie doch die Polizei, mein Kind. Wir brauchen sie nicht, das versichere ich Ihnen.«
Langsam wandte sich Abuela ab und ging zum Eßzimmer. Ich hätte gewünscht, mit ihr gehen zu können; denn dann hätte ich vielleicht Rosa wegen der verstohlenen Schritte am Abend zuvor fragen können. Andererseits war ich vielleicht jetzt nicht erwünscht, und außerdem hatte mich Abuela nicht eingeladen. Deshalb ging ich zurück auf mein Zimmer.
Dort angekommen, trat ich ans Fenster und schaute hinaus. Joe ging gerade zu einem kleinen Ziegelgebäude, das wohl als Lagerschuppen diente. Dahinter verlief eine mit einem Tor versehene Mauer, die den rückwärtigen Teil des Areals von dem vorderen trennte.
Joe trug Gartengeräte, die er jetzt niederlegte, um die Tür aufzuschließen. Dann ging er hinein, und ich hörte, daß er die Tür wieder hinter sich zuschloß. Wenn ich hier Wache gestanden hätte, hätte ich die Tür offen gelassen, dachte ich mir. So kostbar konnte doch das, was sich in dem Schuppen befand, nicht sein! Kurze Zeit später kam er wieder heraus und verschloß von neuem die Tür. Nun, vielleicht hütete er seine Geräte wirklich so eifersüchtig!
Meine Gedanken schweiften zu Dona Isabella. An diesem Morgen hatte ich menschliche Wärme bei ihr entdeckt. Und dennoch… wenn es zu Unstimmigkeiten zwischen mir und ihren Enkeln kam, dann nahm Abuela sofort für die Männer Partei. »Meine Enkel haben recht, Señorita: Wenn man Angst oder Kummer immer wieder von neuem aufrührt, führt das zu nichts«, hatte sie gesagt. Oder: »Vergessen Sie die Polizei; wir brauchen sie nicht.«
Da wir sie wohl noch nie mehr gebraucht hatten als jetzt, dachte ich: »Ist es vielleicht noch mehr als Stolz, was sie so hartnäckig darauf beharren läßt, die Polizei aus dieser Sache herauszuhalten. Aber nein!« schalt ich mich selbst. »Allmählich siehst du in den Monteras schon eine Art spanische Mafia. Es muß die Einsamkeit hier sein… und die psychische Überbeanspruchung, die dich so furchtbar nervös macht!«
Nachdem wir erst ziemlich spät gefrühstückt hatten und ich auch noch einige Zeit mit Abuela im Garten gewesen war, dauerte es nicht lange, bis Teresa mit meinem Mittagessen an die Tür klopfte. Als sie das Tablett abgestellt hatte und sich wieder zum Gehen wandte, sagte ich verzweifelt: »Aber bleiben Sie doch, Teresa. Ich muß mit Ihnen sprechen. Als ich heute nacht bei Rosa in der Küche war, schlich jemand
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