Bottini, Oliver - Louise Boni 01
einen Moment geriet Louise in Hektik. Niksch beruhigte sie. Der Waldstrich war schmal, ein Schotterweg führte im Süden herum, mit den Ketten kein Problem. Zuversichtlich ließ er die Fingerknöchel knacken. Sein Gesicht war gerötet, von seinen Schultern stieg Dampf auf. Er nieste in die Hand. «Ich hätte heute Abend gern noch einen Dö-
ner», sagte er dann und grinste sehnsüchtig. «Ob das möglich wär?»
Sie lächelte und nickte. «Hollerer?»
«Pizza Vier Jahreszeiten, wenn es keine Umstände macht.»
«Da sind Pilze drauf, Chef», sagte Niksch.
«Ich mag Pilze.»
«Ja, aber bis Sie zu Hause sind, ist die Pizza kalt, und Sie müssen sie in den Ofen schieben.»
«Ich könnte mir vorstellen, dass mir das gelingt», knurrte Hollerer.
«Pilze …‼
«Halt’s Maul, Niksch.»
«Pilze soll man, glaube ich, nicht aufwärmen», sagte Louise.
Hollerer verdrehte die Augen. «Dann halt Vier Jahreszeiten ohne Pilze.»
«Das wäre dann aber Drei Jahreszeiten», sagte Niksch.
Überall war die Schneedecke aufgebrochen, lagen Teer oder Schotter frei. Langsam manövrierte Lederle den Daimler über die schmalen Straßen. Louise lotste ihn durch die Dunkelheit zu der Stelle, wo er am Vormittag zu ihnen gestoßen war. Früher – vorher –
hatte er sich überall blind zurechtgefunden. Seit der Diagnose verlor er zunehmend den Orientierungs-sinn. Die Angst um seine Frau schien wesentliche Teile seines Gehirns zersetzt zu haben.
«Da vorn rechts, Reiner», sagte sie.
«Ist gut», erwiderte Lederle. Er bog ab, dann fragte er in den Rückspiegel: «Was tun Sie eigentlich so?»
Richard Landen schien nicht gern über sich selbst zu sprechen. Nach einer Weile erfuhren sie immerhin, dass er Dozent am Südasien-Institut der Heidelberger Universität war. In Freiburg und Basel unterrichtete er Japanisch, in Karlsruhe Sanskrit. Er hielt Vorträge über Tibetischen und Zen-Buddhismus und schrieb hin und wieder Artikel für Fachzeitschriften und Websites. «Das Geld», sagte er abschließend, «verdient meine Frau.»
Niemand lachte. Es klang zu einstudiert. «Und was sind da so Ihre Themen an der Uni?», fragte Lederle.
«Im Augenblick ‹Die erste Rede Shakyamunis auf dem Geierberg›. Letztes Semester war es ‹Die politi-sche Rolle der Gosan›.»
«Na, was es alles gibt», brummte Lederle.
«Ja», sagte Landen.
Eine Weile sprach niemand. Lederle fuhr noch ein wenig langsamer. Draußen war es dunkel geworden.
Einmal glitzerten in der Ferne winzige Lichter, vermutlich, dachte Louise, erleuchtete Wohnzimmer in Liebau. In kleinen, warmen Stuben saßen im Sonn-tagsstaat Paare, Familien, Freunde. Menschen wie Niksch und seine Schwestern und Theres, wie Hollerer und Amelie. Ein Hügel schob sich zwischen den Wagen und die Lichter. «Was ist ein Kagyü-Haus?», fragte sie.
«Ein Haus der Begegnung mit der tibetischen Kultur. Kagyü ist eine der Hauptschulen des Tibetischen Buddhismus.» Landens Stimme klang auf routinierte Weise geduldig. Sie fragte sich, ob er ein engagierter Dozent war oder ein lebloser. Ob die Ruhe, die er aus-strahlte, in Wirklichkeit Unbeteiligtsein war.
Sie drehte den Rückspiegel so, dass sie ihn im Halbdunkel des Fonds ansehen konnte. «Was halten Sie von dem Mönch? Taro?»
«Entschuldige», sagte Lederle und drehte den Spiegel zurück.
«Er ist jung», antwortete Landen. «Höchstens Anfang zwanzig. Und er ist ein Zensu, ein ‹Zen-Kind›. So nennt man in Japan die Zen-Schüler.» Er sprach das Wort «Zen» weich und tief aus – «Sssänn». Dem Dialekt nach zu urteilen, kam der Mönch aus dem Süden Japans, von der Insel Kiushu, aber Landen wollte sich nicht festlegen.
«Haben Sie in Japan gelebt?», fragte Louise.
«Ein paar Jahre, in Tokio und Kioto.»
Sie nickte langsam. Ohne es zu wollen, dachte sie an Landens Frau, die Japanerin, die das Geld verdiente und mit Nachnamen Tommo hieß. «Von Japan nach Südbaden», sagte sie.
Landen schwieg.
«Vielleicht gibt’s ja hier in der Nähe ein Zen-Kloster oder so was», sagte Lederle. «Da, wo er herkommt, oder da, wo er hingeht.»
«Wissen Sie, wo er herkommt?», fragte Landen.
«Er wurde in Badenweiler gesehen, dann in Kirchzarten und gestern in Liebau», erwiderte Louise.
«Badenweiler», wiederholte Landen nachdenklich.
«In Weiterswiller im Elsass ist das Ko-san-ryu-mon-ji und in der Nähe von Mulhouse das Kanzan-an.»
«Weiterswiller ist zu weit im Norden. Mulhouse könnte passen.»
«Südlich von Zillisheim», sagte
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