Bottini, Oliver - Louise Boni 01
Wir haben einen Mann verloren, und das hätte nicht passieren dürfen … Egal. Was ich sagen wollte, ist: Du hast Mut, Luis, verdammt viel Mut.»
Das Loch schloss sich, die Wut kroch zurück. Erschöpft wandte sie sich ab.
Almenbroich war ebenfalls aufgestanden. ‹«Egal›
ist jetzt kein gutes Wort», sagte er ruhig.
«Nein, vielleicht nicht», gab Bermann zu.
Almenbroich trat zu ihr. «Ich mache Ihnen keine Vorwürfe, Luis. Rolf sieht es anders, das ist sein gutes Recht, aber in meinen Augen haben Sie heute richtig gehandelt. Reden Sie sich nicht das Gegenteil ein. In Ordnung?»
Sie nickte.
Almenbroich griff nach ihrer Hand. «Versuchen Sie zu vergessen.»
Sie nickte erneut. «Hat jemand die Familie informiert?»
«Noch nicht. Möchten Sie das tun?»
Sie dachte an die Gesichter der Mutter und der Mädchen im Wald. «Nein.»
Gegen halb sieben war sie zu Hause. Ronescu war schon wach, seine Küche erleuchtet. Doch als sie klingelte, reagierte er nicht.
Sie holte sich etwas zu trinken und setzte sich in Jeans und Anorak aufs Bett. Das Gefühl, Niksch noch in den Armen, am Leib zu halten, ließ nicht nach. Sie spürte seinen harten Kopf am Kinn, seinen Rücken an Bauch und Brust.
Sie fragte sich, weshalb sie nicht weinen konnte.
Weinen schien nicht die angemessene Reaktion auf Nikschs Tod zu sein. Bermann umzubringen und dann zu weinen – das wäre, dachte sie, eher eine angemessene Reaktion gewesen.
Um sieben rief sie im Krankenhaus an, um halb acht und um acht erneut. Hollerer war nicht bei Bewusstsein, aber stabil.
Dann wählte sie Bermanns Nummer und fragte:
«Bist du allein?»
«Nein.»
«Ruf zurück, wenn du allein bist.»
Bermann ließ sich eine halbe Stunde Zeit. Sie saß noch auf dem Bett, starrte an der verdreckten, klam-men Jeans hinunter und überlegte, ob es nicht sinnvoll wäre zu duschen. «Du willst es hören, was?», sagte Bermann.
«Ja.»
Wie vorhin bei Almenbroich zögerte er. Dann sagte er: «Du hast Scheiße gebaut, Luis, und das ist keine Frage der Sichtweise.» Er kam nur langsam in Fahrt, vielleicht weil er müde war, vielleicht weil er auf Kranke Rücksicht zu nehmen pflegte. Vielleicht auch nur, weil sie für ihn bereits Vergangenheit war.
Der Alkohol, ihr Trotz, ihre Unfähigkeit, im Team zu arbeiten, ihre nervtötende Unbeherrschtheit, die Vermengung von Handlung und Gefühl, wie dilettan-tisch sie sich am Tatort im Wald verhalten habe – und dass sie eine Frau sei, nicht strukturiert und logisch denke, nicht rational und neutral analysiere. Er selbst, Schneider, Lederle, alle männlichen Mitglieder des Dezernats und «sogar Anne» hätten anders gehandelt, engagierter, überzeugender und vor allem: glaub-würdig.
Und verhindert, was geschehen war.
Im Hintergrund rauschte eine Toilettenspülung.
Bermanns Stimme verschwand für einen Moment im Getöse des Wassers. Dann war sie wieder deutlich zu hören. «Schon allein, dass du die Nacht mit dem Japs im Wald … Ich glaub’s einfach nicht. Wie neurotisch muss man sein, um …‼ Er brach ab.
Für einen Moment schwiegen beide. Dann begann Louise, ihn zu beschimpfen.
Als kurz darauf Katrin Rein, eine der beiden Psy-chologinnen der Akademie der Polizei des Landes Baden-Württemberg, anrief, saß sie noch immer auf dem Bett, starrte auf ihre Jeans und spürte den Druck von Nikschs Körper an Armen, Brust und Bauch. Rein klang freundlich und weitete den Abgrund dennoch um etliche düstere Meter. Sie wollte sie sehen, am besten sofort, und wenn das nicht ging, wollte sie zumindest Termine vereinbaren für die nächsten Wochen. «Es gibt viel zu tun, Louise, packen wir’s an», sagte sie sanft.
«Okay.»
«Machen wir ein paar Termine aus?»
«Okay», sagte Louise und legte auf.
Gegen Mittag zwang sie sich unter die Dusche. Als sie sich abtrocknete, schien Nikschs Körper aus ihren Armen und ihrem Leib verschwunden zu sein. Beim Ankleiden kam er zurück und raubte ihr momente-lang den Raum zum Atmen.
Auf dem Anrufbeantworter war eine weitere Nachricht. Diesmal stammte sie nicht von Katrin Rein oder Prader, sondern von Lederle. «Wenn du mich brauchst, egal wofür, ruf an», sagte er. Er sprach sehr deutlich und sehr langsam, und sie erkannte daran, dass es ihm gut getan hatte, diesen Satz auszusprechen.
Hollerers Zustand hatte sich nicht geändert. Er war frühestens in zwei, drei Tagen vernehmungsfähig. Die Krankenschwester bemühte sich, höflich zu bleiben.
Sie bat sie, nicht jede halbe Stunde anzurufen.
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