Bottini, Oliver - Louise Boni 01
dass man ihn nicht verstand.
«You should go now», sagte Natchaya.
Sie sah auf. «Nicht ohne meine Pistole.»
Natchaya nickte und hielt ihr die Waffe hin.
Louise zögerte, dann nahm sie sie. Wieder schien alles so einfach zu sein. Der Griff der Waffe war warm und feucht. Sie ließ das Magazin herausspringen.
Zwei Patronen. Zufall oder die Logik des Schicksals?
Natchaya hatte den Arm um Areewans Schultern gelegt. Der Kopf ihrer Schwester ruhte an ihrem Hals.
Ansonsten schien sich nichts geändert zu haben. Kein Hinweis darauf, dass Natchaya mit der Walther auch die Kontrolle über ihre Zukunft aus der Hand gegeben hatte.
Beide Schwestern trugen Jeans und eng anliegende Sweatshirts. Kein Platz für weitere Pistolen. Höchstens für ein kleines Messer. Aber ein Messer? Oder würden sie Gift benutzen?
Sie steckte die Pistole in die linke Anoraktasche.
Was hatte Natchaya vor? Sie spürte, dass die Wut zurückkehrte. So einfach und doch so kompliziert.
Vor der Tür kam Unruhe auf. Schritte erklangen, jemand sprach mit unterdrückter Stimme. Plötzlich sagte Anne Wallmer: «Alles in Ordnung, Luis?»
Sie wandte den Kopf und bejahte unwirsch. Dann musterte sie Natchaya. «Wo sind deine Leute?»
Natchaya gab bereitwillig Auskunft. Paul Lebonne, sagte sie auf Englisch, habe sich vor einer Woche abgesetzt, genau wie Jean Berger. Auch Annegret Schelling sei verschwunden. Klaus Fröbick sei hier gewesen und heute Morgen nach einem Anruf Steiners weggefahren.
Ihr Mann habe noch mit ihm gesprochen, sie nicht.
Fröbick sei in Panik gewesen. Er habe sich absetzen wollen. Aber er habe nicht gewusst, wohin.
Louise nickte langsam. Dann fragte sie nach Taro.
Natchaya kannte den Namen nicht. «Der Mönch», sagte Louise.
Natchaya wiederholte: «The monk.» Sie wusste nicht, was mit ihm geschehen war. Die drei Franzosen hatten ihn weggebracht. «He knew.»
«Was?»
«He saw the men with me. He watched, what we did.»
Mahler und Lebonne entdeckten ihn und schlugen ihn nieder. Sie dachten, er wäre bewusstlos gewesen.
Während sie überlegten, was sie mit ihm machen sollten, verschwand er. Mahler rief die Franzosen an. Sie folgten Taro, stießen dabei auf Hollerer und Niksch.
Sie informierten Mahler im Kanzan-an und fragten, was sie tun sollten. Mahler sagte: Wir brauchen den Mönch. Er fuhr mit Lebonne los. Die Franzosen schossen auf Hollerer und Niksch. Mahler und Lebonne fanden Taro, die Franzosen brachten ihn fort.
«Um ihn zu töten?»
Natchaya erwiderte ihren Blick reglos. Louise hatte den Eindruck, dass sie ihr die Antwort ersparen wollte. Für den Moment beließ sie es dabei. Später, im Dezernat, wenn alles vorbei war, würde sie sie hören wollen. Sie sagte: «Im Wald, wo sie Taro gefunden haben, waren Abdrücke von Kinderschuhen.»
Natchaya schüttelte den Kopf. Kinder waren nicht dabei gewesen. Louise schürzte die Lippen. Mit den Eindrücken der Sharan-Reifen hatte sie Recht gehabt.
Mit den Kinderspuren nicht.
Sie legte die Hände wieder auf Natchayas Füße.
«Habt ihr alle Kinder zu ihren neuen Familien gebracht?»
Natchaya schüttelte den Kopf.
«Wo sind die übrigen?»
«There’s a barn.»
«A what?»
«Scheu-ne», sagte Natchaya und hob eine Hand.
Die Scheune befand sich fünfzig Meter hinter den Häusern im Wald. Ein schmaler Pfad führte vom Hauptgebäude hin. Louise lief voran, Bermann folgte mit einigen weiteren Beamten. Auch Schneider war bei ihnen. Der Schnee lag zwanzig bis dreißig Zentimeter hoch. An tiefen, halb zugeschneiten Löchern erkannten sie, dass vor Stunden jemand hin- und zu-rückgegangen war. Ein Erwachsener. Kinderspuren waren nicht zu sehen.
Louise blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Die kalte Luft schmerzte in den Lungen. Ihr war schwindlig, ihre Schulter tat weh. Sie wusste, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Die Zeit war gekommen, sich auszuruhen. Zwei Monate, drei Monate, so lange es eben dauerte. Sie musste nur noch Pham finden, mit Katrin Rein sprechen, dann würde die Zeit der Ruhe beginnen. Die Zeit des Nachdenkens. Der Unruhe.
Sie lief weiter.
Bermann, Schneider und die anderen überholten sie. Bermann sprach ins Handy. Er hatte Lederle auf der Dienststelle angerufen und gab jetzt durch, in was für einem Auto Fröbick Natchaya zufolge saß: einem weißen BMW. Welches Modell, wussten sie nicht, nur, dass es ein Kombi war. Und dass Fröbick mehrere Stunden Vorsprung hatte und vielleicht nicht wusste, wohin er fahren sollte. Bermann steckte
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