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Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halloween
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neben ihm
schwebte.
»Naja, hier …«
»Und in ganz Südamerika …«
»Ja, nach Süden hin. Hier und nach Süden hin. Alle Friedhöfe. Alle Friedhöfe sind …«
… voller Kerzen, dachte Tom. Tausend Kerzen
auf diesem Friedhof, hundert Kerzen auf jenem. Und
hundert, fünftausend Kilometer weiter, bis hinunter
zur argentinischen Spitze des Kontinentes brannten
zehntausend kleine, flackernde Lichter.
»Feiern sie so …?«
»El Dia de los Muertos. Wie gut bis du in Spanisch, Tom?«
»Der Tag der Toten?«
»Caramba, si! Löse dich auf, Drachen!«
Der Drachen stieß zu Boden und zerstob ein letztes Mal zu Fetzen.
Die Jungen purzelten auf den steinigen Strand des
stillen Sees.
Nebel hing über dem Wasser.
Auf der Insel konnten sie einen dunklen Friedhof
sehen. Dort brannten noch keine Kerzen.
Ein Einbaum schob sich lautlos und ohne Paddel
aus dem Nebel – es war, als würde er von einer Strö
mung getragen.
Am hinteren Ende des Bootes stand reglos eine
große Gestalt mit einer grauen, faltenreichen Kutte.
Das Boot stieß leise ans Ufer.
Die Jungen schnappten nach Luft. Denn soweit sie
es erkennen konnten, war unter der Kapuze der verhüllten Gestalt nichts als schwarze Finsternis.
»Mr---Mr. Downground?«
Sie wußten, daß er es sein mußte.
Doch er sagte nichts. Unter der Kutte glomm nur
ein Lächeln, so unendlich schwach wie ein winziges
Glühwürmchen. Eine knochige Hand winkte ihnen.
Die Jungen kletterten in das Boot.
»Schhh!« flüsterte die Dunkelheit unter der Kapuze.
Die Gestalt machte abermals eine Geste, und geschoben vom Wind glitten sie über das dunkle Wasser, unter einem Nachthimmel, der von dem Feuer
von Milliarden nie zuvor gesehener Sterne erfüllt war.
Auf der dunklen Insel erklangen die Saiten einer
Gitarre.
Eine Kerze leuchtete auf dem Friedhof.
Irgendwo spielte irgend jemand einen melodischen
Ton auf einer Flöte.
Zwischen den Grabsteinen erschien eine zweite
Kerze. Jemand sang ein Wort aus einem Lied.
Eine dritte Kerze wurde von einem brennenden
Streichholz zum Leben erweckt.
Und je schneller das Boot dahinfuhr, desto mehr
Gitarrenklänge waren zu hören und desto mehr Kerzen wurden an den Gräbern auf den steinigen Hügeln
entzündet. Ein Dutzend, hundert, tausend Kerzen
flammten auf, bis es war, als wäre der Andromedanebel vom Himmel gefallen und hätte sich hier, mitten im fast mitternächtlichen Mexiko, zur Ruhe gelegt.
Das Boot stieß ans Ufer. Überrascht fielen die
Jungen hinaus. Sie sahen sich nach allen Seiten um,
doch Downground war verschwunden. Nur seine
Kutte lag leer im Boot.
Eine Gitarre rief. Eine Stimme sang und lockte.
Eine Straße, die wie ein Fluß aus weißen Steinen
und Felsen aussah, führte hügelauf durch die Stadt,
die wie ein Friedhof war, zu dem Friedhof, der wie
eine Stadt war.
Es waren keine Menschen in der Stadt.
Die Jungen kamen an die niedrige Friedhofsmauer
und dann an das schmiedeeiserne Tor. Sie umklammerten die Eisenstäbe und sahen hinein.
»Mensch«, sagte Tom, »so was hab ich ja noch nie
gesehen!«
Denn jetzt wußten sie, warum keine Menschen in
der Stadt waren.
Sie waren alle auf dem Friedhof.
An jedem Grab kniete eine Frau und legte Gardenien oder Azaleen oder Ringelblumen auf den Grabstein.
An jedem Grab kniete eine Tochter und entzündete eine Kerze oder zündete eine vom Wind ausgeblasene Kerze wieder an.
An jedem Grab saß ein stiller Junge mit blitzenden
braunen Augen, der in einer Hand einen auf ein Brett
geklebten Beerdigungszug aus Pappmache und in der
anderen einen Pappmache-Totenkopf hielt, in dem
eine paar Reiskörner oder Nüsse klapperten.
»Seht doch«, flüsterte Tom.
Es gab Hunderte von Gräbern. Und an ihnen saßen
Hunderte von Frauen, Töchtern, Söhnen. Und es
brannten Hunderte von Kerzen, Tausende. Der ganze
Friedhof war ein einziges Meer von Kerzen, als wäre
ein ganzes Glühwürmchenvolk hierher zu einer großen Glühwürmchenversammlung geflogen, als hätte
es sich niedergelassen, um die Grabsteine und die
braunen Gesichter und dunklen Augen und schwarzen Haare zu illuminieren.
»Junge, Junge«, sagte Tom halb zu sich selbst.
»Zu Hause gehen wir nie auf den Friedhof, höchstens
vielleicht einmal im Jahr, am Volkstrauertag, aber
dann auch immer mittags, wenn die Sonne scheint.
Das macht überhaupt keinen Spaß. Aber das hier –
das sieht nach Spaß aus!«
»Ja«, flüsterten alle.
»Das mexikanische Halloween ist viel besser als
unseres!«
Auf jedem Grab standen jetzt Teller mit Plätzchen
in Form von Priestern oder

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