Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
der Wohnung an, als die Frau gerade die Tür öffnete.
Er blieb auf der Stelle stehen, starrte sie überrascht an. Das sollte die Tussi von dem geilen Foto sein? Unmöglich. Kurze, fast stoppelige schwarze Haare, ein weites beigefarbenes Sweatshirt, blaue Schlabberjeans.
»Was gaffen Sie mich so an? Sehe ich aus, als stamme ich vom Mars?«
Er riss sich aus seiner Uberraschungs-Starre, streckte ihr die Hand hin. »Aupperle, Mario. Ich bin Polizeibeamter.«
Sie machte keine Anstalten, auf seine Geste einzugehen, musterte ihn mit strengem Blick. »Das haben Sie mir schon am Telefon erzählt. Warum schauen Sie mich so an?«
»Sie sehen so anders aus«, erklärte er ohne Zögern.
»Anders? Kennen wir uns denn?«
»Kennen?« Er spürte, wie ihm siedend heiß wurde, suchte händeringend nach einer Antwort. Ob sie sich kannten? Allerdings kannte er sie – und wie! Aber das konnte er ihr hier nicht auf die Nase binden. Oder doch?
Er hörte die Musik, die in der Wohnung lief, irgendein seichtes Pop-Gedudel, richtete seine Augen in die Diele. »Könnten wir nicht …« Er nahm seine Hand zu Hilfe, deutete nach innen. »Ich meine, hier im Treppenhaus macht sich ein Gespräch nicht so gut.«
»Dann weisen Sie sich doch zuerst einmal aus. Bisher habe ich noch nichts gesehen, was Sie als Polizisten legitimiert. Woher weiß ich, dass Sie das wirklich sind?«
Aupperle kramte nach seinem Ausweis, hielt ihn ihr vor die Nase. Sie nahm ihn ihm aus der Hand, studierte ihn ausführlich, brachte ihre Verwunderung zum Ausdruck. »Landeskriminalamt. Und Sie interessieren sich für meine Beziehung zu diesem Dreckschwein. Wären Sie so freundlich, mir mitzuteilen, weshalb?«
Er wartete, bis sie ihm den Ausweis wieder zurückgab, steckte ihn wieder ein. Die Frau war anstrengend, sehr anstrengend sogar. Sie schien alles zu kontrollieren, jedes Wort genau hinterfragen zu wollen. Wahrscheinlich wurde jeder Furz, der irgendwo in ihrer weiteren Umgebung gelassen wurde, registriert, analysiert und dann auf seine Notwendigkeit hin interpretiert. Zehn, zwanzig, dreißig Minuten lang. Aus einer Mücke einen Elefanten machen, nur um endlos über eine vernachlässigenswerte Nichtigkeit palavern zu können. Mehrstündige Diskussionen über Gott und die Welt, er kannte diesen Typ Frau, war oft genug auf sie hereingefallen. Viel zu oft. Vom Äußeren her ansprechend aufgemacht, einer Beziehung auch nicht abgeneigt, aber dann, wenn es zur Sache kommen sollte, in endloses Gelaber verfallend. Myriaden von Überlegungen zum Thema Gefühle, Stimmungen, Befindlichkeiten. Nutzloses, sinnloses Geplapper ohne Ende, ohne Ziel. Halbe Nächte waren dabei draufgegangen, sich das alles anzuhören. Wieso wollte der auf einmal mit der, wo er doch bisher eher mit jener anderen? Warum kapierte der nicht, dass jene im Moment mit sich selbst nicht im Reinen war und deshalb noch Zeit benötigte, um diesen inneren Prozess zu bewältigen? Mei liabs Rotteburg am Neckar, man, oder besser: frau konnte sich das Leben mit Gewalt schwer machen. Ohne jeden Grund, einfach so.
»Ja, was ist jetzt? Wollen wir in die Wohnung oder nicht?«
Die mit aggressivem Unterton vorgetragenen Worte der Frau rissen ihn aus seinen Gedanken. Er sah, dass sie zurückgetreten war und ihn ins Innere winkte, folgte der Einladung, trat durch die Diele in ihr Wohnzimmer. Eine bunte Welt voller kräftiger Farben erwartete ihn. Luftige ockergelbe, orange und rote Volants, dazu ähnlich farbige Tücher hingen an den Wänden, poppig-bunte Verfremdungen verschiedener Gesichter im Warhol-Stil dazwischen. Zwei große Sofas links und rechts, in der Mitte ein niedriger Glastisch auf einem schmalen, einem Schiff ähnlichen Sockel. Unterhalb des breiten Fensters eine schmale Truhe – mehr hatte der Raum nicht zu bieten.
»So, was wollen Sie wissen?«
Er nahm auf einem der Sofas Platz, wartete, bis sie sich auf dem anderen Polster niedergelassen hatte, erwähnte den Namen des Ermordeten. »Markus Schmiedle. Sie sprechen nicht sehr freundlich über den Mann.«
»Muss ich das?«
»Sie waren mit ihm liiert.«
»Leider. Wenn ich es könnte, würde ich es rückgängig machen. Das Schwein hat mir ein Stück meines Lebens gestohlen.«
Er sah ihre vor Wut blitzenden Augen, hielt sie ohne jede weitere Überlegung für fähig, den Mann getötet zu haben. Impulsiv, nicht mit Absicht. Wer so schnell in Rage geriet, war zu allem fähig. Wahrscheinlich hatte sie die Tat nicht geplant, sondern im Affekt zugeschlagen.
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