Brandfährte (German Edition)
seiner Stirn. Das Triumphgefühl war verflogen. Jetzt ging es nicht mehr nur um Maikes Ehre. Jetzt ging es auch um ihn.
Fieberhaft überlegte er, was er übersehen haben könnte.
Er musste wissen, was die anderen Medien geschrieben hatten. Ohne sich die Mühe zu machen, eine Jacke anzuziehen, stürzte er die Treppe hinunter auf die Straße und lief bis zur nächsten Hauptstraße. Dort betrieb eine türkische Familie einen kleinen Supermarkt. Niemand kannte ihn dort. Niemand würde sich an ihn erinnern. Mohle kaufte von jeder Zeitung, die über einen Regionalteil verfügte, ein Exemplar und lief mit dem Packen unter dem Arm zurück zur Wohnung. Für heute würde er sich krankmelden.
Eine Stunde später hatte er alle Berichte zwei-, dreimal gründlich studiert. Sie ähnelten sich stark in ihren Aussagen.
«Lilien-Mord vor der Aufklärung?»
, hatte die
Bild
getitelt. In dem Artikel gab es aber bis auf die optimistische Aussage von Tewes nur die Zusammenfassung der längst bekannten Fakten. Die
Zack
spekulierte in ihrem Beitrag, dass der
«Feuerteufel»
kurz vor der Verhaftung stehe. Einen Beweis für ihre These blieb die Zeitung schuldig. Trotzdem ging sein Pulsschlag in die Höhe, als er die Überschrift las. Gegen Mittag war er sich sicher: Die Polizei musste einen anderen Tatverdächtigen im Visier haben. Aber wen? Wieder studierte er die unterschiedlichen Artikel. In keinem deuteten die Journalisten an, um wen es sich handeln könnte.
Am Nachmittag hatte er sich wieder gefangen. Nicht nur er stand unter Druck, sondern auch die Polizei mit einem ungeklärten, spektakulären Mord. Die Tatsache, dass sie der Öffentlichkeit nun in wenigen Tagen einen Tatverdächtigen präsentieren wollten, konnte nur bedeuten, dass sie dem Falschen auf die Spur gekommen waren.
Er wusste, er hatte alles richtig gemacht.
Langsam kehrte das Hochgefühl vom Morgen wieder zurück. Steenhoff war verhaftet. Er würde dafür büßen, dass er Maike auf den Pressekonferenzen der Kriminalpolizei so verunglimpft hatte. So weit, dass der Polizist eines Tages dafür ins Gefängnis gehen würde, hatte er jedoch nie gedacht.
Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Das Leben setzte manchmal hinter die ausgefeiltesten Pläne sein eigenes Ausrufezeichen.
Zufrieden schlug er ein Ei am Pfannenrand auf und bereitete sich die erste Mahlzeit dieses Tages.
Nach dem Essen holte er sein Rad aus dem Keller und fuhr in Richtung Osterholz. In einer Gärtnerei, die für ihre große Auswahl bekannt war, hielt er unterwegs an und besorgte sich einen Blumenstrauß.
Auf dem weitläufigen Friedhof waren überwiegend ältere Frauen unterwegs. Sie schienen alle gebeugt und mit einer grünen Gießkanne zwischen den Gräbern geschäftig zu hantieren. Doch er hatte kaum einen Blick für sie.
Maike Ahlers’ Grab lag auf einem Feld im Westen des 80 Hektar großen, parkähnlichen Geländes, auf dem seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts rund 100000 Menschen ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten.
Richard Mohle hatte sich anfangs gewundert, dass Maike Ahlers nicht in ihrer Heimatstadt beerdigt worden war. Ein Blick auf die Inschriften des Steins verriet jedoch, dass ihre Großeltern in Bremen gelebt hatten und hier auch beerdigt worden waren. Nun hatte ihre Enkelin einen freien Platz in dem großen Familiengrab bekommen.
Mohle legte einen Strauß Feuerlilien auf das Grab, überlegte es sich aber noch einmal anders und suchte hinter den Gräbern nach einer Vase. Es dauerte, bis er ein passendes Gefäß gefunden hatte. Als er es hochnahm, sah er in wenigen Metern Entfernung eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die sich über ein ungepflegtes Grab beugte und Unkraut zupfte. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke.
«Ich leihe mir die Vase nur für ein paar Tage aus», sagte er entschuldigend. Die Frau lächelte ihn verlegen an, sagte aber kein Wort. Mit ihrem dunklen Teint und den braunen Augen war sie ganz offensichtlich keine Deutsche. Vermutlich hatte sie ihn gar nicht verstanden.
Er füllte etwas Wasser in die Vase, drapierte die Lilien darin und suchte nach einem sicheren Halt für die Blumenvase. Als er wieder aufschaute, war die junge Frau verschwunden. Das von ihr gepflegte Grab war nur oberflächlich von Unkraut befreit. Er hatte schon öfter gehört, dass in manchen Kulturen nach dem Tod eines Verwandten zwar ein großes Wehgeschrei angestimmt wurde, sich aber später niemand um die Grabstätten kümmerte. Kurz darauf hatte er die
Weitere Kostenlose Bücher