Brandung des Herzens
Hand lag -Reno war nicht Willows Ehemann.
Gedankenverloren befühlte Caleb das Medaillon, das er sicher in seiner Uhrentasche aufbewahrte. Dann blickte er zum Himmel hinauf und prüfte den Stand der Sonne. Noch ungefähr drei Stunden Tageslicht. Weniger, falls ein Unwetter heraufzog. Aber es sah nicht aus, als bliese der Wind aus der richtigen Richtung für ein Unwetter. Ein paar Regenschauer hier und da vielleicht, aber keine Gewitterstürme wie letzte oder auch vorletzte Nacht.
Mit einem Widerwillen, den Caleb sich nicht erklären konnte, zog er das Medaillon aus der Tasche, ließ es aufklappen und betrachtete die beiden Bilder in seinem Inneren. Nach dem, was Willow gesagt hatte, war sie mit Renos Eltern vertrauter als mit ihren eigenen. Caleb brauchte nichts weiter zu tun, als ihr das Medaillon zu zeigen. Wenn sie die Fotografien erkannte, war sie Renos Ehefrau. Wenn ihr die Bilder nichts sagten, war sie’s nicht. So einfach war das.
Zeig ihr die Fotos, drängte eine kleine Stimme in Calebs Kopf. Finde heraus, ob Willow noch zu haben ist.
Was, wenn sie’s nicht ist?
Die Frage versetzte Caleb einen schmerzhaften Stich, machte ihm bewußt, wie sehr er die Frau mit dem goldenen Haar und dem perlenden Lachen begehrte.
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.
Das war leicht gesagt. Es war auch leicht zu befolgen gewesen, bevor Caleb Willow kennengelernt hatte. Jetzt war er sich nicht sicher, ob er dem biblischen Gebot gehorchen konnte.
Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß, richtig? sagte die Stimme in seinem Kopf.
Falsch, Dummkopf. Was ich nicht weiß, kann...
»Was ist das?« fragte Willow unvermittelt und unterbrach damit Calebs Gedanken.
Er fuhr mit einem so heftigen Ruck zu ihr herum, daß sie zusammenzuckte.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie hastig. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Caleb ließ seinen Blick von Willows klaren, haselnußbraunen Augen zu den beiden ovalen goldenen Hälften des Medaillons wandern, das offen in seiner Handfläche lag. Zwei ernste Gesichter starrten zu ihm auf. Mit einer lässigen Beiläufigkeit, die ihn einige Mühe kostete, streckte er seine Hand aus, so daß Willow die Bilder sehen konnte.
»Nur ein Medaillon«, sagte er.
Sie beugte sich in der Taille vor und berührte seine Fingerspitzen. Er reagierte auf den leichten Druck, indem er seine Hand ein wenig zur Seite neigte, um ihr einen besseren Blick auf die Fotos zu geben.
Der Mann hatte ein wenig bemerkenswertes Gesicht, helle Augen, dunkles Haar, einen Schnurrbart und die am stärksten abstehenden Ohren, die Willow jemals gesehen hatte. Die Frau hatte ebenfalls ein wenig bemerkenswertes Gesicht, helle Augen, dunkles Haar, keinen Schnurrbart und fast genauso abstehende Ohren wie der Mann. Willow warf Caleb einen verstohlenen Blick von der Seite zu und fragte sich, ob das Paar mit ihm verwandt sei. Doch sie konnte keinerlei Ähnlichkeit mit den beiden in den Linien seines Gesichts, der Form seiner Augen, dem Schwung seiner Lippen feststellen.
Und ganz besonders nicht an seinen Ohren.
Sie räusperte sich, schluckte das belustigte Lachen, das ihrem Mund zu entschlüpfen drohte, hinunter und murmelte: »Gleich und gleich gesellt sich gern...«
Calebs Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. »Ja, genau das habe ich auch gedacht, als ich die Bilder zum ersten Mal sah.«
»Dann sind diese Leute, äh, nicht mit Ihnen verwandt?« erkundigte Willow sich vorsichtig.
»Das gleiche wollte ich Sie auch fragen.«
Sie hob die Hände und strich ihr dichtes, schweres Haar hinter die Ohren zurück. »Na, was denken Sie?«
Caleb dachte, daß er liebend gerne an ihren hübschen kleinen Ohrläppchen geknabbert hätte, behielt den Gedanken jedoch für sich. Statt dessen sagte er nur: »Was ist mit Ihrem Mann?«
Willow kämpfte gegen die schuldbewußte Röte an, die ihr in die Wangen kroch, und blickte hastig weg. »Matts Ohren liegen so flach an wie meine.«
»Also sind es auch nicht seine Eltern, wie?« fragte Caleb betont leichthin, so als wollte er sie necken.
Goldenes Haar flog, als Willow energisch den Kopf schüttelte. »Nein. Ich habe diese Leute noch niemals in meinem Leben gesehen.«
»Sicher?« fragte er, und auf seinen Lippen erschien ein langsames, träges Lächeln.
»Glauben Sie, ich würde diese Ohren vergessen?«
Er lachte leise, und auf einmal erwachte ein ganz neues Lebensgefühl in ihm und verdrängte die Trostlosigkeit, die er empfunden hatte, als er aufgewacht war und verzehrende
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