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Brandwache

Brandwache

Titel: Brandwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Connie Willis
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gerudert.«
    Er hatte graue Augen wie Victoria. Sein vom Feuer beschienenes
Haar war dunkler als das ihre und hatte einen rötlichen
Schimmer. Es war beinahe so dunkel wie das Elliotts.
    »Ich begab mich in eine Schenke und lieh mir ein Pferd«,
fuhr er fort. »Als ich hier ankam, teilte man mir mit, daß
ihr auf dem Friedhof wärt. Ich befürchtete, ihr hättet
die Hoffnung aufgegeben und wärt dabei, mich zu
begraben.«
    Sein Lächeln war offener als das Elliotts, und seine Augen
sahen freundlicher drein. Seine wettergegerbten Hände sahen
stark und lebendig aus; aber sie hielten den Feuerhaken so
ungeschickt, als seien sie kalt und steif, so daß sie nicht
richtig zupacken konnten. Anne nahm die Steppdecke von ihren
Schultern und legte sie sich über die Knie.
    »Du hast noch keinen Bissen zu dir genommen, seit du nach
Hause gekommen bist«, sagte Victoria. »Und nach der langen
Zeit in einem offenen Boot sollte man meinen, daß du am
Verhungern seist.«
    Roger legte das Schüreisen auf die Kaminplatte und nahm mit
beiden Händen die Tasse Tee entgegen, die ihm seine Schwester
reichte. Er hielt sie ziemlich geschickt, aber er trank nicht aus
ihr.
    »Ich habe in der Schenke gegessen, in der ich das Pferd
mietete«, erklärte er.
    »Wie sagten Sie noch, daß Sie an das Pferd gekommen
sind?« erkundigte sich Anne, als hätte sie nicht richtig
zugehört. Sie reichte ihm eine Scheibe Kuchen auf einem
hauchdünnen Teller aus chinesischem Porzellan.
    »Ich habe es mir vom Inhaber der Schenke ausgeliehen. Er gab
mir auch ein paar Kleider. Meine waren kaputt, und meine Stiefel
hatte ich im Wasser verloren. Ich muß wohl einen
erbärmlichen Anblick geboten haben, als ich spät in der
Nacht dort anklopfte. Der Mann hat mich angesehen, als hätte er
einen Geist gesehen.« Er lächelte Anne an, und seine Augen
blickten freundlicher, als sie es bei Elliott je gesehen hatte.
    »Ihr alle habt mich so angesehen«, sagte er noch.
»Einen Moment lang kam ich mir vor, als sei ich zu meiner
eigenen Beerdigung gekommen.«
    »Nein«, sagte Anne und erwiderte sein Lächeln; aber
sie beobachtete ihn aufmerksam, als er die Kuchenscheibe in die Hand
nahm und wartete gespannt darauf, daß er sie
äße.

 
Alle meine geliebten Töchter
     
     
    Einführung
     
    Als sie vierzig Jahre alt war, schlich sich Elizabeth Barrett
aus ihrem Haus in der Wimpole Street, um mit Robert Browning
durchzubrennen. Das war eine erstaunliche Tat für eine
viktorianische Frau; insbesondere für eine, die den
größten Teil ihres Lebens eine Invalide gewesen war. Die
Geschichte ist so romantisch dargestellt worden, daß man leicht
vergißt, daß sie ebenso von etwas weg- wie zu etwas
hinlief.
    Sie verwies auf ihre »besondere Situation« – ein
Leben mit einem Vater, der ein vereinnahmender und selbstherrlicher
Mann war und keinem seiner Kinder zu heiraten gestattete – und
bemühte sich, es amüsant klingen zu lassen. Robert
Browning, der besessen davon war, Elizabeth von diesem Mann
fortzubringen, der die Behinderung seiner Tochter bestärkte,
nannte ihren Zustand Sklaverei und schrieb ihr wütend: »Ich
glaube, zu wissen, was ein Vater erwarten darf, und ein Kind sollte
ihm gehorchen. «
    Als Edward Moulton Barrett herausfand, was seine Tochter getan
hatte, bemühte er sich unbarmherzig, alle Spuren von ihr zu
beseitigen; einschließlich ihres geliebten Cocker-Spaniels
Flush. Sie hatte Flush mit sich genommen. Aber sie hatte ihre
Schwestern Arabel und Henrietta zurückgelassen.

Barrett: Ich will ihren Hund haben… Octavius.
    Octavius: Sir?
    Barrett: Ihr Hund muß beseitigt werden. Sogleich.
    Octavius: Ich verstehe w-wirklich n-nicht, was Euch das arme
k-kleine Tier getan hat…
    (The Barretts of Wimpole Street)

Als erstes erzählte mir meine neue Stubenkameradin ihre
Lebensgeschichte. Danach kotzte sie meine ganze Koje voll. Willkommen
auf der Hell. Ich weiß, ich weiß. Es war mein eigener
verdammter Fehler, daß ich mich gleich zu Beginn mit der dummen
kleinen Scheißerin einließ: Daddys Liebling hatte ihre
Versetzung verspielt und war wieder im Novizen-Dorment gelandet, wo
sie so lange bleiben würde, bis der Verwalter berichten
würde, daß sie wieder ein braves Mädchen war. Aber er
hätte mir keine Restriktion auferlegen müssen… jetzt,
wo all die kleinen Schulschiff-Neulinge aus den Frontkolonien an Bord
waren… allesamt schüchterne Jungfrauen. Die reichen
Dämchen beteiligten sich in der Regel an der Knallerei im
Internat, wenn sie sich auch

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