Brann 02 - Blaue Magie
er dazu außerstande, ihr fernzubleiben.
Sie pflegte mit solcher Uneingeschränktheit zuzuhören, daß ihr Zuhören wie eine besondere Art von Magie wirkte. Ihre vollkommene Aufmerksamkeit bereitete ihm sogar Unbehagen, ab und zu lehnte er sich dagegen auf, doch sie war gleichzeitig außerordentlich verführerisch. Allmählich benötigte er ihre Aufmerksamkeit dringender als die Droge; sie aßen und schliefen getrennt, doch danach suchte er sie wieder auf, so rasch es sich einrichten ließ, und jedesmal kramte er — nach kurzem Zögern — von neuem in seinen Erinnerungen. Nach und nach erzählte er immer häufiger sogar Dinge, die er schon vergessen, die zu vergessen er sich gezwungen gehabt hatte, sprach sich über die Jahre seines Heranwachsens aus, das Hin- und Hergerissensein zwischen seinem Vater und dessen Wunsch, er solle zusammen mit den älteren Halbbrüdern das Geschäft betreiben, und seiner Mutter, die alles Krämertum abgrundtief verachtete, die als Braut verkauft worden war, damit ihre Familie die Schulden bezahlen konnte (sie entstammte einem unbedeutenderen Zweig der alten Fürstensippe der Amara). Tadar Chandros Sohn hatte sie gekauft, um bei den mächtigen Bandrabahrs höheres Ansehen zu gewinnen, er zeugte mit ihr einen Sohn und mißachtete sie von da an vollständig. Sie haßte ihn, als er sie nahm, sie verabscheute seine Berührungen, und fast genauso sehr haßte sie ihn, weil er sie sich selbst überließ, auf beleidigende Weise weder an ihrer Person Interesse zeigte, noch an ihrem Geschlecht. Allerdings war sie zu klug, als daß sie sich außerhalb der Mauern von ihres Gemahls Wohnsitz etwas von ihrer Abneigung hätte anmerken lassen, sie wußte, er brauchte nur läppische Vorwände anzuführen, um sie verstoßen zu können, und er hatte von ihr schon alles, was er je hatte haben wollen; statt dessen hob sie sich ihre Schmähreden für die Ohren ihrer Söhne auf.
»Ich war der sechste Sohn«, sagte Ahzurdan, »zehn Jahre jünger als Shuj, der vor meiner Geburt Jüngster war; er hatte seinen Spaß daran, mich zu quälen, ich weiß nicht warum. An meinem zwölften Geburtstag schenkte unser Vater mir ein Segelboot, alle seine Söhne bekamen eins zu ihrem zwölften Geburtstag. Ein paar Tage später hatte ich vor, damit auf den Fluß hinauszufahren. Auf dem Weg dorthin sah ich Shuj aus dem Bootsschuppen kommen. Als ich den Schuppen betrat, sah ich, daß er mein Segel aufgeschlitzt und in die Seite des Boots ein Loch gehackt hatte. Ich lief ihm nach; ich glaube, ich war nie zuvor und bin niemals wieder derartig zornig gewesen. Ich wollte ... Ich weiß gar nicht, was ich eigentlich beabsichtigte, ich war viel zu sehr außer mir, als daß ich klar zu denken vermocht hätte. Bei den Ställen holte ich ihn ein, ich schrie ihm irgend etwas zu, ich habe keine Ahnung mehr, was 's war, und da zauberte ich unversehens Feuer hervor; fast hätte ich ihn in Asche verwandelt. Nur Furcht rettete ihn, meine Furcht. Flammen umzüngelten meine Hände, sie schmerzten nicht, jedoch jagten sie mir einen solchen Schrecken ein, daß meine Wut verflog. Ich riß die Arme in die Höhe, und das Feuer schoß an den Himmel empor, verbrannte einige bedauernswerte Vögel. Von jedem Tag an mieden mich Shuj und die andern, wann immer sie's konnten ...«
Tadar war über den Vorfall ebenso erschrocken wie davon angewidert gewesen; er war ein Mann mit Geschäftssinn und mochte mit derartigen Angelegenheiten nicht in Zusammenhang gebracht werden. Jahrelang hatte das Vorbild eines Vaters voller Lebenskraft und Tüchtigkeit, der ihm gutmütige Geringschätzung entgegenbrachte, ihn niedergedrückt, nach Chandros Tod jedoch hatte er die Geschäfte zu ordnen angefangen, sie danach sogar vorsichtig ausgebaut; er mochte das Meer nicht, schon auf Flußbooten wurde er entsetzlich seekrank, doch entwickelte er nach und nach das Vermögen, die fähigsten Schiffsherren auszusuchen, und er bezahlte sie gut und gab ihnen einen Anteil an den Einnahmen für jede Fracht. Im Verlauf der Jahre gedieh sein Handel gewaltig, bis er schließlich in Bandrabahr zu den reichsten Männern zählte. Einen Monat lang scherte er sich nicht weiter um die Eigentümlichkeiten seines Jüngsten, schalt die übrigen Söhne aus, wenn sie sich bei ihm zu beklagen versuchten (sie entsannen sich noch allzu deutlich daran, wie oft sie dem zarten, etwas verwöhnten Knaben übel mitgespielt hatten, und mochten sich nicht länger mit ihm im selben Raum aufhalten), doch zwei
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