Braut von Assisi
»Wetten, meine Schöne?«
Nach diesen Worten zog er unter den Heuballen ein kleines Messer hervor und begann, das schmutzige weiße Kleid der Länge nach sorgfältig aufzuschlitzen.
Die Vesper hatte Leo noch halbwegs andächtig hinter sich gebracht, obwohl ihn das ständige Scharren und Räuspern der fremden Mönche rechts und links im Chorgestühl immer wieder aus der Versenkung gerissen hatte. Zudem stieß ihm ungut auf, wie schlecht das Lateinisch war, das sie sangen, besonders beim Magnifikat, dem Lobgesang Mariens, für ihn seit jeher stets Höhepunkt und Ausklang jedes Klostertages. Bei dem kaum erträglichen Gestammel
ringsumher leistete er innerlich Abbitte bei Abt Willibald, der alle Novizen im Ulmer Kloster so lange mit dem Auswendiglernen lateinischer Strophen malträtierte, bis sie in der Lage waren zu begreifen, was sie da von sich gaben.
Selbst das anschließende Abendessen, während der Sommermonate die einzige Mahlzeit der Mönche, brachte keine wirkliche Entspannung. Viele schienen so ausgehungert, dass sie über die Schüsseln und Näpfe herfielen wie Wölfe. Das allgemeine Schmatzen und Schlürfen erreichte eine Lautstärke, die die schüchterne Lesung des jungen Bruders immer wieder übertönte, der sein Brevier so ängstlich umklammert hielt, als müsse er sich daran festhalten.
War er des klösterlichen Lebens bereits so entfremdet, dass ihn nun alles und jedes zu stören schien? Ein Gedanke, der Leo Angst machte, weil er spürte, dass mehr als ein Körnchen Wahrheit darin steckte. In den langen Wochen der Reise nach Assisi war er sein eigener Herr geworden, hatte tun und lassen können, was ihm in den Sinn kam – und er musste einräumen, dass er durchaus einen gewissen Gefallen an dieser ungewohnten Freiheit gefunden hatte.
Aber war er nicht ein Mönch, der lebenslange Armut, Keuschheit und Gehorsam geschworen hatte?
Besinn dich auf die Demut!, redete er sich selbst gut zu, als er nach dem Essen noch einmal mit den Brüdern in die Grabeskirche zog, um dort die Komplet zu beten. Sie hat Franziskus aus vielen Zwickmühlen befreit, sie wird auch dir hilfreich sein.
Doch nichts wollte helfen. Sein Geist entzog sich hartnäckig, wollte sich nicht auf das Salve Regina konzentrieren, sondern schweifte ab zu sehr viel weltlicheren Dingen.
Zu dem mehr als nachlässig geführten Pfortenbuch beispielsweise, das anstelle exakter Eintragungen lediglich ein unentzifferbares Gewirr aus Strichen und Kreisen aufwies.
Der gemütliche Schmerbauch namens Fra Gandolfo beherrschte offenbar kaum die ersten sechs Buchstaben des Alphabets, wie er wild gestikulierend eingestand.
»Dafür ist er freundlich und sehr fromm.« Abt Matteos Mund war nur noch ein weißer Strich. »Francesco hat die gütigen Narren geliebt. Ihm waren sie um vieles lieber als die Rechthaber und Schriftverdreher.«
Oder zu Stellas öffentlicher Verlobung auf der Piazza della Commune, die inzwischen vermutlich in ein rauschendes Fest übergegangen sein dürfte. Wieder glaubte er, ihren zarten Duft wahrzunehmen anstelle der groben Ausdünstungen seiner Mitbrüder, von denen sich einige offenbar monatelang konsequent jeder Berührung mit Wasser und Seife enthalten hatten.
Nein – er konnte sich unmöglich anschließend auf einer der harten Pritschen des Dormitoriums ausstrecken und die ganze Nacht ihrem Schnarchen, Furzen und Seufzen zuhören! Alles in Leo sträubte sich dagegen, und der Abt schien es ihm mit einer gewissen inneren Genugtuung anzusehen.
»Du willst uns heute noch verlassen, Fra Leo?«, fragte er scheinheilig. »Dann solltest du dich allerdings sputen, denn nachts ist unsere schöne Stadt in letzter Zeit nicht immer ein sicheres Pflaster.«
Wie erleichtert Leo war, als die Klosterpforten sich endlich wieder hinter ihm geschlossen hatten! Heute bereits zum zweiten Mal, dachte Leo, was ihn abermals nachdenklich werden ließ. Dann aber glitt sein Blick zum Himmel, der sich wie dunkelblauer Samt über ihm spannte, von unzähligen Sternen übersät, und er atmete tief aus.
Um die Piazza della Commune machte er vorsichtshalber einen großen Bogen, doch das schnelle Gehen durch die verwinkelten Gassen tat ihm ausgesprochen gut. Er lief
in östlicher Richtung, bis die Häuser immer weniger wurden und bereits die ersten Äcker begannen. Unter einer Pappel setzte er sich nieder, schloss die Augen und ließ die Ereignisse des Tages noch einmal an sich vorüberziehen.
Schließlich begab er sich auf den Heimweg.
Im Haus der
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