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Feigheit. Angst ist das Vergrößerungsglas, unter dem jeder Gedanke zu monströser Bedrohlichkeit anschwillt, und seit 2005 fühlt sie sich von Erinnerungen regelrecht eingekesselt. Dabei müsste sie nur mit sich selbst zu der Vereinbarung gelangen, alles sei ganz anders gewesen – wenn man die Zukunft gestalten kann, warum dann nicht auch die Vergangenheit?
Schöne Idee.
Funktioniert nur leider nicht.
Ist Hagen von ähnlichen Dämonen geplagt?
Auf seiner Matratze liegend versucht sie, seiner Angst nachzuspüren. Was er alles hat durchmachen müssen! Sie selbst wurde in einen Transporter gezerrt, schlimm genug, doch niemand hat sie zusammengeschlagen, sie musste keine Kämpfe auf Leben und Tod ausfechten, kein Freund wurde vor ihre Augen gefoltert und erschossen. Ihr Leiden ist anderer Natur. Mehr wie eine unheilbare Krankheit, die nach Jahren, in denen man sie beherrscht wähnte, mit Macht wieder ausgebrochen ist.
Die Einsamkeit zehrt sie auf.
In ihren Gedanken war sie immer einsam, doch sie hat Freunde, Familie, feiert gegen ihre Depressionen an wie Vincent Price gegen den Roten Tod. Sex, wann sie will, Partnerschaft? Noch ist ihr ein leeres Kissen tags drauf lieber als ein erwartungsvoller Blick. Partnerschaft erfordert, sich zu öffnen, und sie will niemanden in ihre Abgründe schauen lassen.
Alles andere: jederzeit!
Sie braucht ihr soziales Umfeld, ohne Freunde ist sie verloren, und jetzt hat man sie aus der Welt rausgeschnitten wie etwas, das entfernt gehört. Sie vermisst Alena, die vertrauten Gesichter. Die Abende in den Restaurants, Klubs und Kneipen. All das fehlt ihr fürchterlich.
Frustriert dreht sie sich auf die Seite.
Und sieht seinen Laptop dastehen, aufgeklappt wie ein Tier, das gefüttert werden will.
Das weiße Licht am Rand der Tastatur pulsiert.
Wie von selbst wandert ihr Finger auf das Touchpad. Der Bildschirm leuchtet geheimnisvoll auf. Hat er vergessen, den Laptop auszuschalten? Offenbar. Niemand fragt sie nach einem Passwort. Keine Datei ist aufgerufen, ein paar Ordner nur, deren Namen ihr nichts sagen, unten die reich bestückte Symbolleiste –
Keinesfalls wird sie in seinen Dokumenten stöbern. Sie ist keine Zehnjährige, die Weihnachtsgeschenken hinterherschnüffelt, aber vielleicht kann sie mit jemandem mailen. Ein paar Zeilen Korrespondenz würden schon reichen, das Gefühl der Einsamkeit zu mildern.
Sie fährt mit dem Finger auf das Internet-Symbol.
Die Google-Startseite poppt auf.
Tippt yk-doc@t-online in die Suchleiste.
Zwölf neue Nachrichten. Drei von Alena, zwei von Miriam, YOOX , Zalando, Diverses.
Und eine Adresse, die sie nicht kennt.
Das Betreff lässt sie zusammenfahren.
Hab keine Angst. Schimon macht dir einen Vorschlag.
Ihre Finger schweben zitternd über dem Touchpad.
Schimon?
Sie öffnet die Mail.
Yael, es tut mir leid, wie sich die Dinge entwickelt haben. Yossis Tod konnte ich nicht verhindern, jetzt liegt das Kommando wieder bei mir. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt, andererseits kann ich nicht zulassen, dass dieser Journalist unsere Organisation gefährdet. Folgerichtig mein Vorschlag: Du hast nichts zu befürchten, wenn du weiter schweigst – und uns Tom Hagen auslieferst. Wir werden auch ihm nichts tun, solange er kooperiert, uns sein Material aushändigt und uns seine Quellen nennt. Wenn du selbst eine der Quellen bist, ändert das nichts an meinem Versprechen. Gib uns Hagen, und wir belästigen dich nie wieder. Nimm dir die erforderliche Zeit, entscheide dich bis heute Abend. Du kannst über diese Adresse jederzeit Kontakt mit mir aufnehmen. Schimon
Die Zeilen flimmern ihr vor den Augen. Ihr erster Impuls ist, den Text zu löschen, denn sie glaubt ihm kein Wort.
Liest ihn erneut.
Wieder und wieder.
Fühlt ihren Widerstand bröckeln.
Und was, wenn er es doch aufrichtig meint und sie die letzte Chance in den Wind schlägt, ihr altes Leben zurückzubekommen?
Tom ausliefern –
Er hat sie gerettet. Aber auch in diese verfluchte Lage gebracht.
Hastig schließt sie ihren Account, klickt das Internet-Fenster weg, klappt den Laptop zu und springt auf.
Ihre Gedanken rasen.
Jerusalem
»Adler hat das Gebäude verlassen«, sagt Sivan. »Ist im Laufschritt zu seinem Wagen und losgebrettert.«
»’tschuldigt mich.«
Cox geht in den Nebenraum und schließt die Tür hinter sich.
»Welche Richtung?«
»Norden.«
»Bleib dran. Noy?«
»Hier.«
»Häng dich an Sivan. Wechselt euch ab. Haltet mich auf dem Laufenden.«
Da
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