Brenda Joyce
blieb sie stehen, eine Hand auf den
weißen Marmorsims gelegt, wandte sich Hart zu und sagte: »Ich fürchte, Sie
haben das falsche Etablissement gewählt. Wir offerieren unseren Gästen verschiedene
Arten der Unterhaltung, aber Kinder zählen nicht dazu.«
Hart machte es sich in seinem Sessel bequem, schlug die Beine
übereinander und nahm einen Schluck von seinem Scotch. »Der ist ganz exzellent«,
sagte er.
»Ja, das ist er«, stimmte sie ihm zu.
»Können wir Ihnen möglicherweise mit bloßer Schönheit Vergnügen bereiten? Wir haben
hier eine Reihe von sehr attraktiven jungen Frauen, Mr Hart. Darunter befindet
sich ein atemberaubender Rotschopf von gerade einmal sechzehn Jahren.«
Er zuckte mit gespielter Gleichgültigkeit die Schultern. »Meine
liebe Madame Marceaux, ich hatte bereits viele Mätressen in diesem Alter. Ich
bin auf der Suche nach unverdorbener Unschuld. Und ich bin bereit, einen großzügigen
Preis dafür zu zahlen, wenn Sie mir bei dieser Suche behilflich sind.«
Sie starrte ihn an. Dann sagte sie: »Ich fürchte, ich kann Ihnen
nicht helfen.«
Er erhob sich. »Dann haben Sie wohl recht: Ich habe in der Tat das
falsche Etablissement gewählt.« Doch während er
das sagte, bedachte er sie mit einem freundlichen Lächeln.
Sie trat auf ihn zu und berührte ihn zum
ersten Mal, legte ihre Hand leicht auf seinen Unterarm. »Ich würde es überaus
bedauern, wenn Sie heute Abend unbefriedigt wieder gingen. Es ist schon spät.
Vielleicht möchten Sie sich ja doch noch kurz ein wenig amüsieren. Es ginge
aufs Haus.« Sie begegnete seinem Blick.
Ihre Augen
waren hellgrau, und es war einfach unmöglich, etwas darin zu lesen. Sie lieB
ihre Hand auf seinem Arm ruhen. Er vermutete, dass sie sich selbst anbot, doch
sie war zweifellos eine Meisterin dieses Spiels und würde ihn womöglich auch
beim Poker schlagen. Wenn sie sich tatsächlich selbst anbot, so vermochte er es
nicht zu deutlich zu erkennen. Er dachte an Rose. Sie hasste ihn, aber sie
freute sich gewiss, dass er nicht mehr mit Daisy verkehrte. Und er wusste
nicht, ob Solange Marceaux ihm die Wahrheit sagte. Falls sie tatsächlich
Kinderprostitution betrieb, so wollte sie ihn wahrscheinlich auf die Probe
stellen. Wenn er nicht mit Francesca verlobt gewesen wäre, hätte er einfach mit
ihr geschlafen und ihr die Information entlockt. Aber nun musste er einen
anderen Weg finden, um zum Ziel zu kommen.
Er lächelte
sie an. »Möglicherweise haben Sie recht.« Sie sah ihn mit ihren wunderschönen
und doch so bemerkenswert kühlen grauen Augen unbeirrt an, dann ließ sie ihre
Hand von seinem Arm gleiten und neigte lächelnd den Kopf.
»Ich habe beim Hereinkommen eine prachtvolle Frau gesehen, dunkle
Haut, dunkle Haare, dunkle Augen. Ich kenne sie aus Madam Pinkes Etablissement.
Ihr Name ist Rose. Ist sie wohl frei?«
Falls Solange Marceaux überrascht war,
möglicherweise sogar enttäuscht, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie blinzelte
nicht einmal. »Eine gute Wahl«, sagte sie. »Rose ist in der Tat eine
prachtvolle Frau, wie Sie es formuliert haben, und sie ist in der Lage, einen
Mann wie Sie zu befriedigen. Ich glaube, sie ist heute Abend frei. Bitte
entschuldigen Sie mich«, sagte sie und lächelte.
Er erschrak, denn er wollte nicht, dass Rose
und Solange Marceaux in seiner Anwesenheit über ihn sprachen. Rose würde
möglicherweise zu viel verraten. »Madame Marceaux, bitte entschuldigen Sie,
aber Sie haben mich nicht ausreden lassen«, sagte er rasch.
Sie drehte
sich zu ihm um, und zum ersten Mal an diesem Abend meinte er in ihrem
Gesichtsausdruck eine Veränderung zu erkennen: Für einen kurzen Moment glaubte
er Überraschung in ihren Augen zu lesen. »Das tut mir leid.« Er lächelte. »Ich
möchte Rose nicht für mich.«
Sie
erstarrte. »Oh.«
Er hatte endlich gesiegt. Sein Lächeln war nun echt, denn er
konnte es kaum erwarten, ihr den entscheidenden Schlag zu versetzen: »Ich würde
gern dabei zusehen, wie sie sich mit einer anderen Frau amüsiert«, sagte er.
Da wusste
sie es und ihr Lächeln erstarb.
»Und diese
Frau sind Sie«, setzte er hinzu.
Kapitel 13
SONNTAG, 30. MÄRZ 1902 – 9:00 UHR
Francescas
Eltern hatten ihr die Kutsche bis zum Mittag zu ihrer freien Verfügung
überlassen. Daraus schloss sie, dass sie um diese Zeit das Gefährt, nicht aber
unbedingt ihre Tochter zurückerwarteten, und so beabsichtigte sie, Jennings
zurückzuschicken, nachdem er sie im Stadtzentrum abgesetzt hatte. Im
Augenblick wartete er
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