Brenda Joyce
in der Nähe auf sie, während sie vor dem rostigen
Eisentor des St.-James-Friedhofs stand.
Es war ein trostloser Morgen, kalt und windig, mit düsteren
Regenwolken. Als Francesca durch die Eisenstäbe auf den kleinen Friedhof neben
der jahrhundertealten Kirche blickte, begann sie trotz ihres wollenen Mantels
zu zittern, und das lag nicht nur an der Kälte. Es war ein furchtbarer Tag
dafür, zwischen den kleinen, schlichten Grabsteinen und Kreuzen
hindurchzuwandern und Ausschau nach dem Grab eines zwölfjährigen Mädchens zu
halten. Anschließend hatte Francesca die wenig verlockende Aussicht, sich an
der Ecke der Tenth Street niederzulassen, um die einundvierzig Leute zu
befragen, die behaupteten, Informationen über das Verschwinden von Emily O'Hare
zu haben.
Bedrückt fragte sie sich, was Hart wohl am gestrigen Abend herausgefunden
haben mochte.
Francesca seufzte und schob das Tor auf,
dessen Angeln laut quietschten. Es musste in der vergangenen Nacht oder in den
frühen Morgenstunden geregnet haben, denn das Gras und
Unkraut, das den gepflasterten Weg überwucherte, war ganz feucht. Francesca
mochte Friedhöfe nicht besonders und dieser bildete keine Ausnahme, er war
trostlos und bedrückend. Sie warf einen Blick auf den Grabstein zu ihrer
Rechten – der Mensch, der dort begraben lag, war vor 20 Jahren gestorben.
Langsam ging sie weiter, vorbei an Grabstellen aus den vergangenen zwei
Jahrzehnten. Sie war nicht von Herzen bei der Sache, denn insgeheim hoffte sie,
dass John Cooper gelogen hatte und dass seine Tochter noch am Leben war. Die
Behauptung, sie sei gestorben, war schließlich die perfekte Ausrede, um ihr
Verschwinden zu vertuschen. Francesca graute davor, ihre Vermutung widerlegt
zu finden.
Sie beschleunigte ihre Schritte. Wenn Bonnie wirklich tot war,
musste ihr Grab eines der neuesten auf dem Friedhof sein. Am hinteren Ende sah
sie einige Steine, die noch ganz weiß waren, und einen frisch aufgeworfenen
Erdhügel. Sie eilte darauf zu und wäre dabei einmal fast auf dem glitschigen
Untergrund ausgeglitten.
Auf dem ersten hellen Grabstein
stand zu lesen: »Mark Johnson, Ruhe in Frieden, 1858-1902.« Francesca war für
einen kurzen Moment erleichtert, dann wandte sie sich dem kleineren Stein
daneben zu und erstarrte.
Ein Strauß Wildblumen war davor abgelegt
worden.
BONNIE COOPER
GELIEBTE TOCHTER
VON JOHN UND RITA COOPER
1. MAI 1889-27. FEBRUAR 1902
Francesca atmete
scharf ein. Sie war fassungslos. Bonnie Cooper war tot. Ihr Vater hatte also
die Wahrheit gesagt. Doch dann stutzte sie.
Das Datum
auf dem Stein musste falsch sein.
Francesca starrte auf das frische Grab hinab. Mrs Hopper hatte
gesagt, Bonnie Cooper sei am 10. Februar verschwunden.
Heute war der 30. März. Das bedeutete, dass Bonnie vor einem Monat
gestorben war – mehr als zwei volle Wochen nach ihrem Verschwinden.
»Hey, Mister, warten Sie, bis Sie an der Reihe sind!«, rief Joel.
Francesca hatte an der Straßenecke einen
kleinen Kartentisch aufgestellt, saß auf einem Klappstuhl, mit einem Notizbuch
und mehreren Stiften vor sich, und befragte ihren zehnten
Möchtegern-Informanten. Die Aussagen der letzten neun Männer – allesamt recht
heruntergekommene Gestalten, dem Aussehen nach Schurken – waren völlig wertlos
gewesen, ihre Geschichten lächerlich. Die lange Reihe der Männer und Frauen aus
dem Viertel reichte von ihrem kleinen Tisch bis zum Ende des Häuserblocks,
ziemlich genau bis vor Schmitts Lebensmittelladen. Er war bereits dreimal aus
seinem Geschäft gekommen und hatte sie mit missbilligenden Blicken bedacht, die
Hände auf die Hüften gestemmt. Die Kunden, die in seinen Laden wollten,
mussten sich erst einen Weg durch die Wartenden bahnen. Nun sagte der Mann, den
Joel gerade zurechtgewiesen hatte und der aussah wie ein Hafenarbeiter, verärgert:
»Ich steh seit 'ner Stunde hier draußen in der Kälte! Ich hab an meinem freien
Tag was Besseres zu tun, als mir den Arsch abzufrieren, während
ich auf Ihre Hoheit hier warte!«
Francesca faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und entgegnete
ruhig: »Warum gehen Sie dann nicht?«
»Wollen Sie nun Informationen oder nicht, Lady?«, versetzte er
höhnisch.
»Nur wenn es sich um Tatsachen handelt. Und auch dann müssen Sie
warten, bis Sie an der Reihe sind.«
Maggie
Kennedy tauchte hinter Francesca auf. »Wo hast du denn deine Manieren gelassen,
Ralph Goodson?« Francesca blickte überrascht zu ihr auf. »Ich danke Ihnen«,
sagte sie.
Maggie lächelte sie
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