Brenda Joyce
apfelgrünen
Ensemble. Julia ließ sich zwar jeden Morgen um acht Uhr wecken, verließ ihre
Suite jedoch für gewöhnlich nicht vor dem Mittag, da sie sich in dieser Zeit
mit Haushaltsangelegenheiten und ihrer privaten Korrespondenz beschäftigte.
Sie war eine auffallend schöne Frau mit honigblondem Haar und strahlenden
blauen Augen. Obwohl sie bereits das mittlere Alter erreicht hatte, war ihre
Figur noch immer wohlgeformt und schlank. Andrew respektierte und bewunderte
sie gleichermaßen. Allerdings war ihm klar, warum sie ihn um diese Zeit in
seinem Arbeitszimmer aufsuchte – nicht wegen ihres ernsten Gesichtsausdrucks,
sondern weil er seine Frau gut genug kannte.
»Guten Morgen, Andrew. Darf ich eintreten?« Julia lächelte kurz.
»Aber gewiss«, erwiderte er und erhob sich.
Sie schritt ins Zimmer und blieb vor dem großen Mahagonischreibtisch
stehen, an dem ihr Mann arbeitete. Er war als Sohn eines ehrlichen, fleißigen
und doch armen Farmers zur Welt gekommen und hatte es nicht etwa glücklichen
Umständen zu verdanken, in die besten Kreise der feinen Gesellschaft aufgestiegen
zu sein. Vielmehr hatten ihn seine eigene
innere Stärke und Entschlossenheit, verbunden mit einem ausgeprägten
Organisationstalent und der nötigen Disziplin, zum Millionär gemacht. Auf
seinem Schreibtisch herrschte peinliche Ordnung. In der linken oberen Ecke
hatte er einige Geschäftsunterlagen gestapelt, seine Firmenkorrespondenz lag
in der rechten oberen Ecke und seine persönliche Korrespondenz darunter.
»Ich darf wohl annehmen, dass du mich zu
dieser ungewöhnlich frühen Stunde aufsuchst, um meine Verabredung mit Calder
Hart am heutigen Nachmittag zu besprechen, nicht wahr?«
Sie baute sich vor seinem Schreibtisch auf.
»Ich möchte, dass Francesca Calder Hart heiratet, Andrew«, sagte sie in
warnendem Ton.
Er hatte keine Lust, mit ihr zu streiten – das
hatten sie in letzter Zeit oft genug getan. Meist war es dabei um ihren Sohn Evan gegangen, den Andrew eigentlich enterben wollte, was er bisher jedoch nicht übers Herz gebracht
hatte. Sein abtrünniger Sohn hatte die Firma verlassen, seine Verlobung mit Miss Sarah Channing gelöst und beim Glücksspiel
ungeheuere Schulden angehäuft, die sich ständig mehrten. Schlimmer noch: Immer
wieder kam Andrew zu Ohren, Evan sei in Begleitung der skandalumwitterten
Gräfin Benevente gesehen worden. »Nimm doch bitte Platz, Julia«, forderte er
seine Frau ruhig auf.
»Er ist das Beste, was Francesca passieren
kann!« Ihre Stimme wurde lauter, und sie blieb trotz seiner Aufforderung
vor dem Schreibtisch stehen. »Er ist einer der reichsten Männer der Stadt,
Andrew, und dazu noch der begehrteste Junggeselle.«
»Der Mann
treibt sich mit geschiedenen Frauen und mit Witwen
herum, und du weißt so gut wie ich, dass sie seine Geliebten sind, Julia. Er
hält eine Mätresse aus. Seine Umgangsformen sind unmöglich. Über gesellschaftliche
Konventionen setzt er sich nach Belieben hinweg. Es war beispielsweise
absolut nicht akzeptabel, dass er seine Verlobung mit Francesca bekannt gegeben
hat! Ich habe meine Einwilligung noch nicht erteilt, und du weißt sehr wohl,
dass er zuerst mit mir hätte sprechen müssen. Dann hätten wir einen Empfang
veranstaltet und die Verlobung dabei öffentlich gemacht. Und erwähnte ich schon
seine Kunstsammlung? Jeder weiß doch über diese schockierenden, lebensgroßen
Nacktskulpturen in seiner Eingangshalle Bescheid und auch über einige
antichristliche Gemälde, die sich in seinem Besitz befinden.«
Julia verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich glaube, er betet unsere Tochter an, Andrew. Ich habe es in seinen Augen
gesehen. Und was sein Verhalten angeht – nun, ich bin der Ansicht, wer so reich
ist wie er, kann nun einmal tun und lassen, was ihm gefällt.«
»Heißt du sein Verhalten etwa gut?«
»Ich mag ihn, Andrew«, entgegnete sie, nun wieder in warnendem
Ton.
»Nun, ich mag ihn nicht. Du behauptest, er
vergöttere Francesca. Das mag durchaus sein – aber für wie lange? Was ist in
einem Jahr? Oder in zwei oder drei Jahren? Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Entschuldige, wenn ich das sage,
Julia, aber dieser Mann hat einen übermäßig starken Sexualtrieb. Er wechselt
seine Geliebten wie du deine Kleider. Er wird Francesca niemals treu sein, und
auch wenn sie sich gemeinhin wie ein vernünftiger Blaustrumpf benehmen mag, so
hat ihr Verhalten in den letzten Wochen doch bewiesen, dass sie eine
leidenschaftliche und hoffnungslose
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