Brenda Joyce
fertig!«
Bridget fuhr zusammen, als sie das Schimpfen
ihrer Mutter vernahm. Sie eilte zu dem Karren vor dem Haus, in dem sie von nun
an wohnen würden. Glücklicherweise hatte ihre Mutter heute Morgen an den
geschäftigen Piers rasch einen Fuhrmann gefunden, der ihre Habseligkeiten
hierherbrachte, gleich nachdem sie von Bord des Schiffes gegangen waren, das
sie über den Atlantik in dieses seltsame und furchteinflößende Land gebracht
hatte.
Bridget streichelte den Esel, der den Karren
zog, dankbar, dass wenigstens etwas ihr vertraut war. Gott, das Gebäude, in dem
ihre kleine Wohnung lag, war riesig wie die Schlösser von Lord Randolph, dem
englischen Grafen, bei dem Bridgets Mutter Bedienstete gewesen war und
dem das Haus gehörte, in dem sie gewohnt hatten. Doch in dem herrschaftlichen
Haus war irgendetwas Schreckliches geschehen, worüber Mama nicht sprechen
wollte. Sie und Papa hatten fürchterlich miteinander gestritten, und dann war
sie in Tränen ausgebrochen, und er war hinausgestürmt und nicht einmal in den
frühen Morgenstunden wieder heimgekommen. Später war der gutaussehende junge
Graf zu ihnen nach Hause gekommen und hatte ihrer Mama ein Geschenk mitgebracht
– ein wunderschönes Rehkitz aus Glas, das Mama gerade verstecken wollte, als
Papa zurückkam. Sie hatten sich wieder gestritten, Mama hatte wieder geweint
und Papa hatte das Rehkitz zerbrochen und dabei geschrien, er werde den Grafen
umbringen. Als Lord Randolph das nächste Mal zu Besuch kam, war Bridget an die
Tür gegangen und hatte ihm gesagt, das Mama krank sei.
Jetzt war Papa im Gefängnis und wurde beschuldigt, ein
schreckliches Verbrechen begangen zu haben: einen Mordversuch an einem
englischen Adligen. Mama und Papa sprachen nicht mehr miteinander. Papa hatte
nicht einmal versucht, Mama davon abzuhalten, das Land zu verlassen. Im
Gegenteil, er hatte ihr sogar zugeredet, fortzugehen, ganz so, als ob er sie
hasste. Während der Überfahrt hatte Mama immer wieder einen Zeitungsausschnitt
mit einer Zeichnung des Grafen angestarrt, auf der er so genau getroffen war,
dass es beinahe schien, als ob er Mama anlächelte.
Dieser Graf war an allem schuld. Bridget
hasste ihn, sie hasste die Engländer und sie hasste dieses fremde Land.
»Bridget! Wir müssen zusehen, dass wir fertig werden, und du stehst immer noch
da und gaffst!«, rief ihre Mutter und blieb neben ihr stehen, eine kleine
Schachtel mit ihren Wertsachen in der Hand. Alle sagten, dass Mama eine schöne
Frau war, und Bridget fand das auch. Sie hatte rotbraunes Haar, das in wilden
Locken herabfiel, wenn sie es offen trug, und atemberaubende grüne Augen mit
langen, schwarzen Wimpern. Sie war erst sechsundzwanzig und ermahnte Bridget
ständig, ein braves Mädchen zu sein, weil sie sonst auch mit fünfzehn ein Baby
bekommen würde, genau wie sie. Bridget wusste, dass es ihr ernst damit war,
aber sie war gerade einmal elf – auch wenn sie älter aussah –, und daher machte
sie sich eigentlich noch keine Gedanken um Jungen. Doch sie nickte immer, wenn
Mutter das sagte, und schwor, auf der Hut zu sein. Überhaupt machte Mama sich
andauernd Sorgen über alles und jeden. Und Bridget wusste, dass sie sich auch
immer noch Sorgen wegen des gutaussehenden Grafen machte – allerdings nicht
wegen Papa.
»Tut mir leid«, sagte Bridget leise, warf ihren langen, dunkelroten
Zopf über die Schulter, bückte sich und hob den schweren Sack hoch. Als sie
sich wieder aufrichtete, blieb ein Gentleman vor ihr stehen und zwinkerte ihr
zu.
Sie sah den Mann verwirrt an. Er hatte blaue Augen, war mittleren
Alters und gekleidet wie Lord Randolph, was bedeuten musste, dass er
Reichtümer und Landsitze besaß. Allerdings war er klein und sehr dünn, die Haut
so weiß wie die eines Säuglings. Es war Bridget unangenehm, wie er sie
anstarrte, und sie errötete, wandte sich hastig ab und lief davon.
Mama, die in der Tür des Wohnhauses stand, hatte die Szene
beobachtet. Sie packte Bridget an der Schulter und starrte auf die Straße
hinaus. Bridget drehte sich um und sah, wie der reiche Gentleman in eine
elegante Kutsche stieg. »Du sprichst mit niemandem, hast du gehört?«, sagte
Mama. »Erst recht nicht mit fremden Männern!«
»Er hat ja gar nichts gesagt«, erwiderte Bridget. »Nicht mal guten
Tag.«
»Du bist viel hübscher, als gut für dich ist, und du siehst aus
wie fünfzehn, nicht wie elf. Genau das hat mich damals in Schwierigkeiten
gebracht, und diese Schwierigkeiten will ich dir
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