Brenda Joyce
Mauer schleuderte und ihn mit vor Wut gerötetem Gesicht
anschrie. Es war offensichtlich, dass die Razzia Braggs Ermittlungsarbeiten im
Zusammenhang mit Jonnys Entführung gestört hatte. Offenbar hatte die
Verständigung zwischen den verschiedenen Abteilungen der Polizei an diesem Tag
nicht besonders gut funktioniert.
Plötzlich
sah Francesca einen riesigen Mann, der nicht weit entfernt von Bragg stand. Er
trug eine ärmliche, ausgebeulte Jacke, eine abgewetzte graue Hose und
schmutzige, braune Stiefel und wirkte noch schäbiger als die Leute, die Francesca
bisher beobachtet hatte. Sie war sich sicher, dass dies der Entführer war, der
jetzt versuchte, Kontakt zu Bragg aufzunehmen.
In diesem Augenblick ließ der Polizeipräsident
von dem Sergeanten ab und blickte den großen Mann an. Doch der wandte sich ab
und verschwand in einer der anderen Schenken.
»Verflixt noch mal!«, rief Francesca, während
sie Bragg im selben Moment rufen hörte: »Schnappt euch diesen Mann!«
Plötzlich rannte der Junge, der sie um Geld
angebettelt hatte, über die Straße. Er strebte schnurstracks auf Bragg zu, während
zwei der Streifenpolizisten die Schenke betraten, in die der Mann verschwunden
war. Francesca beobachtete, wie der kleine Bettler Bragg einen zerknautschten
Zettel in die Hand drückte, sich dann umdrehte und das Weite suchte.
Bragg las den Zettel, hob den Blick dann wieder und nahm die
Verfolgung des Jungen auf. Als die beiden in die Mott Street einbogen, verlor
Francesca sie aus den Augen.
»Großer
Gott«, murmelte sie verwirrt, während sie sich aufrichtete und sich die Kapuze
vom Kopf streifte.
Dieser
freche kleine Kerl, der versucht hatte, ein paar Dollar von ihr zu erpressen,
hatte offenbar etwas mit den Leuten zu tun, die für die Entführung
verantwortlich waren. Und sie hatte sich mit ihm unterhalten! Francesca
schüttelte ungläubig den Kopf.
In der
Schenke auf der anderen Straßenseite war die Razzia in vollem Gange. Die Gäste
leisteten wohl heftigen Widerstand gegen die Polizisten, denn Francesca hörte
Schreie und Geräusche, als würden Möbelstücke zu
Bruch gehen.
Doch das Geschehen ließ Francesca völlig gleichgültig. Sie befand
sich in einer Art Schockzustand und beschloss, die Hester Street hinunterzugehen und dann zur Mulberry Street hinüber, wo
ihre Kutsche samt Kutscher auf sie warteten.
Doch als sie sich zum Gehen wandte, stand
plötzlich der große Mann mit der schäbigen braunen Jacke vor ihr und lächelte
auf sie herab. »Hallo, meine Kleine«, sagte er.
Francesca schlug das Herz bis zum Hals. Der
Mann grinste sie an und entblößte dabei seine gelben, ungepflegten Zähne. »Was
sucht denn 'n reiches Mädchen wie du hier bei uns armen Leuten?«, fragte er.
Francesca zögerte keine Sekunde. Sie zog ihre Geldbörse hervor,
reichte sie dem Mann, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los. Doch sie kam
nur wenige Schritte weit, denn der Mann hatte ihre Kapuze zu fassen bekommen
und riss so fest daran, dass Francesca rückwärts gegen seinen breiten Brustkorb
taumelte.
»Muss wohl
heute mein Glückstag sein«, sagte er lachend.
Der Atem
des Mannes stank Ekel erregend nach Fäulnis und Verwesung. Francesca versuchte
sich loszureißen, doch der Kerl hielt ihre Arme mit eisernem Griff fest. Sie
begann zu schreien.
Der Mann drehte Francesca um und presste ihr seinen stinkenden
Mund auf die Lippen.
Francesca rammte ihm ihren Absatz so fest sie nur konnte auf den
Fuß, worauf er mit einem Schrei zurückwich. Doch gleich darauf griff er erneut nach ihren Armen und hielt sie fest. Sie
schrie so laut sie nur konnte um Hilfe, doch keiner der Passanten auf dem
Gehweg schenkte ihr Beachtung.
»Das war aber nicht sehr wohlerzogen, junge
Dame«, knurrte der Ganove.
In diesem Moment wurde Francesca bewusst, dass sie sich in ernsten
Schwierigkeiten befand. Doch plötzlich brüllte der Mann vor Schmerz auf und lockerte seinen Griff. Sie blickte
nach unten und entdeckte den kleinen Bettler, der dem Ganoven immer wieder
heftig gegen das Schienbein
trat. Ohne zu zögern rammte Francesca dem Mann ihr Knie in den
Unterleib. Daraufhin ließ er sie endlich los und krümmte sich vor Schmerzen.
»Nichts wie weg hier, Miss!«, rief der Junge und packte ihre Hand.
»Nein, in diese Richtung!« Francesca zog ihn herum und bahnte sich
einen Weg durch die Menschenmenge, vorbei an betrunkenen Männern, an Frauen und
Kindern, nur von dem Gedanken besessen, diesem schrecklichen Mann zu entkommen.
Als
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