Brenda Joyce
an. »Wir haben etwas zu
besprechen.«
Es kostete sie große Mühe, nicht unruhig auf der Sitzbank
herumzurutschen. Das Präsidium, ein fünfstöckiges rötlich braunes
Sandsteingebäude, an dem Francesca auf dem Weg zur Mott und zur Hester Street
vorübergekommen war, lag nur noch einen Straßenblock weit entfernt. Francesca
hatte es noch nie zuvor aus der Nähe gesehen, kannte es aber von den
Zeichnungen, die hin und wieder in der Times abgedruckt wurden. Nun
starrte sie das Gebäude, vor dem ein geschäftiges Treiben herrschte, mit
offener Neugierde an. Mehrere uniformierte Polizisten patrouillierten auf dem
Gehsteig, gut gekleidete Herren und Uniformierte gingen ein und aus.
»Commissioner, ich würde mich nur zu gern mit Ihnen unterhalten,
aber ich fürchte, ich bin bereits spät dran und muss nun nach Hause
zurückkehren.«
Francesca brachte ein verkrampftes Lächeln
zustande. Sie hatte nur wenig Hoffnung, dass sie der unangenehmen Befragung
durch Bragg würde entgehen können.
Der Polizeipräsident erwiderte ihr Lächeln und schwieg, während
Jennings die Kutsche unmittelbar vor dem Eingang des Gebäudes zum Stehen
brachte.
Francesca blickte mit
wachsender Beklommenheit zu Joel hinüber. Sie griff nach seiner Hand, eine
Geste, mit der sie nicht nur ihn beruhigen wollte, sondern auch sich selbst.
Francesca spürte, dass der Junge bei der ersten sich bietenden Gelegenheit das
Weite suchen würde.
Bragg sprang aus dem Brougham, reichte Francesca die Hand und half
ihr beim Aussteigen. Francesca nahm die Berührung überaus bewusst wahr und
rückte unsicher von Bragg ab, während seine eigene Kutsche hinter der ihren
hielt.
Bragg bedeutete ihr, die Stufen, die zum Gebäude hinaufführten,
voranzugehen. Zwei Kriminalbeamte nahmen Joel in ihre Mitte, wobei der eine,
ein großer, stämmiger Mann, die Schulter des schmächtigen Kindes mit festem
Griff umklammert hielt.
»Der Kuckuck soll euch holen, verflucht noch mal!«, beschwerte
sich der Junge lauthals.
»Was werden Sie mit dem Jungen anstellen?«, fragte Francesca.
»Er ist im Besitz wichtiger Informationen«, sagte Bragg, der die
Flucherei des Jungen geflissentlich überhörte.
Francescas Besorgnis wuchs. Bragg hatte wieder seine übliche
grimmige Miene aufgesetzt, und das konnte nichts Gutes für Joel und sie
bedeuten.
Im Präsidium blieben sie in der Wartehalle
stehen. Francesca blickte sich mit großen Augen um und
vergaß für einen kurzen Moment, was ihr bevorstand. Mehrere Beamte standen
hinter einer Art Tresen. Ihm gegenüber befand sich eine Reihe von Bänken, auf
der ein paar Männer saßen, einige von ihnen in Uniform, andere nicht. Man hörte
eine Schreibmaschine klappern und das Klicken des Telegrafen.
Als Francescas Blick auf einen ausgesprochen verwahrlost und
gefährlich aussehenden Mann fiel, der in Handfesseln zwischen zwei Polizeibeamten stand, kamen ihr die vielen schlimmen
Geschichten in den Sinn, die sie schon über die New Yorker Polizei gelesen
hatte. Unschuldige Passanten, die von
Polizisten brutal mit Schlagstöcken malträtiert wurden. Harmlose Bürger,
die tagelang wegen Verbrechen gefangen gehalten wurden, die sie gar nicht
begangen hatten.
Doch ein solches Schicksal würde ihr gewiss nicht bevorstehen –
schließlich war sie eine Cahill und Bragg mit ihrem Vater befreundet.
»Bragg«, hob sie tapfer an, nachdem sie Joel
ein beruhigendes Lächeln geschenkt hatte, »er ist nur ein kleiner Junge ...«
»Thompson, begleiten Sie Miss Cahill in mein
Büro«, sagte der Polizeipräsident und fuhr an Francesca gewandt fort: »Bitte
warten Sie dort auf mich, ich benötige noch einen Moment.«
Dann wandte er sich um, gab seinen Männern ein Zeichen, ihm mit
Joel zu folgen, und stieg die Treppe hinauf. Der Junge warf Francesca über die
Schulter einen letzten verzweifelten Blick zu, doch sie brachte als Erwiderung
nur ein hilfloses Lächeln zustande.
»Miss Cahill?« Der Detective schaute sie freundlich an und deutete
zum Aufzug hinüber.
Francesca betrat die vergitterte Kabine und schlang
unwillkürlich die Arme um ihren Körper. Einen Augenblick später fand sie sich
bereits allein in Braggs Büro im ersten Stock wieder. Während sie sich
umblickte, gewann allmählich eine vertraute Neugierde die Oberhand über die
Beklommenheit, die sie noch einen Moment zuvor verspürt hatte.
Interessiert trat Francesca auf den
Schreibtisch des Polizeipräsidenten zu. Er war ungefähr halb so groß wie der ihres Vaters
und mit Büchern,
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