Brenda Joyce
Daisys Hand fester wurde. »Ich habe keinen
Grund zu lügen!«, rief Francesca.
»Wir schon.« Es war Rose, die diese Worte gesprochen hatte. »Wäre
das dann alles?«
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«, fragte Francesca
noch einmal mit fester Stimme. Dann fügte sie eindringlich hinzu: »Bitte sagen
Sie es mir.«
Die beiden
Frauen schwiegen und starrten sie an.
»Sie müssen mir die Wahrheit sagen«, schlug Francesca einen neuen
Weg ein. »Ich bin eine gute Bekannte von ihm und möchte ihm helfen.«
Daisy blickte zu Rose auf. »Ich glaube, sie sagt die Wahrheit. Sie
hat ehrliche Augen.«
Rose nickte. »Er ist ein Freund von uns«, sagte sie. »Er besucht
uns regelmäßig.«
»Welche von Ihnen besucht er?«,
rutschte Francesca heraus.
Ein kleines Lächeln erschien
auf Daisys Lippen. »Uns beide.« Francesca starrte sie an, und ihre Wangen
begannen erneut zu brennen. »Aber doch gewiss nicht zur selben Zeit!«
»Zur selben Zeit«, erwiderte Daisy immer noch
lächelnd. »Aber das hat wohl nichts mit dem Mord zu tun, von dem Sie sprachen.«
Francesca schluckte. »Wohl nicht ... Entschuldigen Sie, aber wie
ist das möglich?«
Rose lächelte sie an. »Das ist sehr gut möglich. Besonders bei einem
Mann wie Calder. Er ist unermüdlich.«
»Und so
freundlich«, fügte Daisy hinzu.
Francesca blickte sie erstaunt an. Sie hätte
es sich niemals träumen lassen, dass jemand Hart einmal als freundlich
bezeichnen würde. »Sprechen wir auch wirklich von ein und demselben Mann?«
Rose nickte. »Es kommen Männer hierher, die sich für Gentlemen
halten, es aber nicht sind. Letzten Monat ist ein Mädchen gestorben, weil sie
von ihrem Freund geschlagen wurde. Und das war nicht das erste Mal.«
Francesca erhob sich. Sie war erschüttert
über das, was Rose erzählt hatte. »Warum arbeiten Sie hier? Sie sind doch offenbar
beide wohlerzogen und gebildet. Ich sehe es in Ihren Augen und höre es in Ihren
Stimmen.«
»Sie werden es wahrscheinlich nicht verstehen«, erwiderte Rose,
»aber nicht jede Frau sehnt sich danach, einen Mann zu heiraten und ihm und
seinen Kindern zu Diensten zu sein und den Haushalt zu führen.«
Francesca starrte sie an. Plötzlich hatte sie das Gefühl, mehr mit
Daisy und Rose gemein zu haben als mit ihresgleichen. »Ich verstehe sehr wohl«,
sagte sie langsam. »Aber wie können Sie mit Fremden ... intim werden?«
Daisy lächelte. »Das fällt einem nur die
ersten paar Male schwer. Und wenn man einen Kunden wie Calder hat, dann kann es
sogar schön sein.«
Der vertrauliche Gebrauch seines Vornamens sprach Bände. »Bitte
sagen Sie mir doch, wann er das letzte Mal hier war«, drängte Francesca.
Die beiden sahen einander an. Dann erhob sich
Daisy, und Rose legte einen Arm um sie. »Gestern Abend«, sagte Daisy.
Francesca atmete erleichtert auf. Das war die Antwort, auf die sie
im Stillen gehofft hatte. »Um wie viel Uhr ist er eingetroffen, und wann ist
er wieder gegangen?«
»Er kam gegen sieben, glaube ich.« Es war erneut Daisy, die
sprach. »Und er ist um kurz vor neun gegangen.« Bei der Erinnerung lächelte
sie. »Er sagte, er sei zu einer Party eingeladen.«
Francesca jubilierte innerlich. Hart besaß ein Alibi! »Würden Sie
das auch der Polizei sagen?«, fragte sie gerade, als plötzlich von unten Lärm
heraufdrang. Es klang, als wäre die Haustür mit voller Wucht aufgestoßen
worden, und dann ertönte ein Schrei: »Polizei!«
Türen wurden zugeknallt, Frauen schrien,
Männer fluchten. Dann hörte man Schritte, und es klang beinahe so, als käme
eine ganze Armee die Treppe heraufgestürmt. Francesca hörte mehrere Männer
rufen: »Polizei! Öffnen Sie die Tür! Polizei! Das ist eine Razzia! Öffnen Sie
die Tür!«
Daisy und Rose flüchteten nacheinander durch ein Fenster auf die
Feuerleiter hinaus.
Francesca wollte ihnen gerade folgen, als sie
unten auf der Straße, am Fuß der Leiter, drei Polizisten erblickte, die die beiden
Frauen angrinsten und nur darauf warteten, sie in Empfang zu nehmen. In diesem
Moment hämmerte auch schon jemand gegen die Zimmertür. Warum musste das bloß
ausgerechnet jetzt passieren? Man durfte sie auf keinen Fall in diesem Bordell
erwischen! Sie konnte sich vorstellen, wie wütend Bragg sein würde.
Einer plötzlichen Eingebung folgend kroch sie
in Windeseile unter das Himmelbett und kauerte sich dort zitternd zusammen.
Sie hörte, wie die Zimmertür geöffnet wurde, und erblickte drei Paare
schwarzer Schuhe, die beinahe gleichzeitig
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