Brennende Schuld
selbst als Verwalter der UNESCO-Gelder?«
»Che Guevara ist tot, junger Mann. Wir Ibizenker machen seitdem mit Fidel Castro die Geschäfte.« Zustimmendes Gelächter im Saal. »Aber mal ernsthaft: Mit Frau Dr. Laureana Sanchez, der Tochter meiner Frau, haben wir zum ersten Mal eine kompetente Archäologin von Weltruhm in Ibiza. Das muss doch auch Ihnen klar sein. Und was die Verwendung der Gelder betrifft, Señor Boned, kann ich Sie beruhigen: Sie unterliegt der strengen Kontrolle eines Ausschusses, dem auch Mitglieder Ihrer Partei, die die Farbe der Hoffnung in ihrem Banner führt, angehören. Also hoffen Sie! Hoffen Sie das Beste!«
Costa kam sich überflüssig vor. Laureana schien den Worten ihres Stiefvaters gebannt zu lauschen, während der Belgier wieder auf Karin einredete.
»Ich bin fasziniert von dieser Insel. Glauben Sie mir, ich habe die ganze Welt gesehen, aber Ibiza ist einmalig. Wie konnte aus so viel Grausamkeit so viel Schönheit entstehen?« Natürlich erwartete er keine Antwort. »Auf den Spuren der Karthager bin ich bis in die Gebirge des Tschad gereist. Die Macht dieser Stadt reichte zu ihrer Glanzzeit von den Grenzen des Sudan bis zu den Pyrenäen. In meiner Rede vorhin habe ich den Moloch nicht ohne Grund erwähnt. Wenn Sie jemals in Salambô gewesen sind und die Überreste des Baal-Tophet gesehen haben, des Opferplatzes für Tausende von Erstgeborenen, wenn Sie auf den Trümmern der Wälle von Karthago gestanden haben …« Überwältigt von der Erinnerung, legte er eine Pause ein. Er warf Costa einen Blick zu, der ihn auch zum Mitleid mit den Opfern dieser Welt inspirieren sollte. Aber das war unnötig, denn Costa war plötzlich hellwach und voller Aufmerksamkeit. »Und wenn Sie sich die Horden der Barbaren vorstellen«, fuhr Keulemans fort, »die gegen die Mauern der Stadt brandeten, bis der Wall aus Verwundeten, Sterbenden und Toten so hoch war wie die Mauern selbst, wenn Sie sich die verkohlten Rümpfe der Verbrannten vorstellen, die Pestleichen, die mit Katapulten in die Stadt geschleudert wurden, die Einwohner, die ihre Kinder den Flammen des Baal Hammon und der Göttin Tanit opferten, dann fragen Sie sich, ob sie ihre Grausamkeit und Größe auch auf diese Insel mitgebracht haben. Den letzten archaischen Platz in Europa.«
Vor der Entdeckung, die Elena und er gemacht hatten, würde Costa solche Fragestellungen für abwegig gehalten haben. Aber nach dem Auffinden der Brandopfer und dieser Rede eben stellte sich auf jeden Fall die Frage: Was hatte der Belgier mit den Opfern für die Göttin Tanit zu tun?
»Ich habe eine beträchtliche Sammlung punischer Artefakte, die ich Ihnen gerne einmal zeigen würde«, bot er Karin an.
»Warum nicht gleich? Laureana Sanchez wird auch da sein.« Er warf Costa einen freundlichen Blick zu. »Mein Wagen ist in der Werkstatt – ich würde uns ein Nachtmahl zubereiten und Ihnen meine Schätze zeigen. Es ist nicht weit.«
Costa wusste, dass er diese Chance nutzen musste. Nur Lust hatte er überhaupt keine.
»Was ist auf Ibiza schon weit«, sagte Karin zu seiner Überraschung. »Nicht wahr, Toni?«
Er zog sie beiseite. »Was soll das? Ich denke, wir fahren zu dir? Ich habe fürs Abendessen eingekauft.«
»Es interessiert mich eben. Und es ist noch früh, wir müssen ja nicht lange bleiben. Und ich könnte Laureana dann um das Interview bitten.« Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Wir haben doch noch die ganze Nacht für uns. Und morgen ist Sonntag. Wir könnten zur Cala D’Hort an den Strand fahren.«
Rational war es auch für ihn die beste Lösung; außerdem befreite es ihn aus seinem Konflikt. Er stimmte zu und schlenderte Richtung Ausgang, während sich Karin von ihrem Chef verabschiedete. Er begegnete Laureana Sanchez, die sich gerade aus einem Pulk von Gratulanten befreite.
»Ich höre, Sie gehen auch noch zu Keulemans?«
»Gehen Sie?«
»Ja, er hat meine Freundin und mich gerade eingeladen. Er sagte, Sie kämen auch.«
»Tut mir leid, aber mein Stiefvater hat einen Tisch reserviert.«
Sie sah nicht sehr begeistert aus. »Eine sympathische Frau, Ihre Freundin«, sagte sie. »Kennt sie unsern Flaubert-Experten schon länger?«
»Wen meinen Sie?«
»Monsieur Keulemans. Hat er Ihnen noch nicht von Karthago vorgeschwärmt?«
»Ja. Ich glaube, er ist ganz schön beschlagen.«
Sie lächelte. »Der eine liest gerne Romane, der andere interessiert sich für die Wirklichkeit. Und Sie?«
Costa grinste, hielt es aber nicht für nötig,
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