Brennendes Schicksal (German Edition)
schlug er das Kreuzzeichen über ihm und ging. Die kommenden Stunden und Tage musste der Visconte Angelo da Matranga allein überstehen.
Nachdem der Bischof ihm die von Beatrice unterzeichnete Urkunde gebracht hatte und die Kutsche mit seiner nun von ihm getrennten Frau verschwunden war, fühlte da Matranga sich so müde und erschöpft wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Trost brauchte er. Unbedingten und sofortigen Trost, sonst würde er die kommenden Stunden nicht überstehen. Und Trost gab es nur an einem einzigen Ort der Welt für ihn: bei Laura. In ihren Armen, an ihrer Haut musste er spüren, dass es noch Dinge gab, die Bestand hatten. Von ihren Lippen musste er hören, dass die Liebe lohnte. Und an der Wiege seines Kindes musste er sehen, dass es eine Zukunft gab. Hoffnung, Trost und Zukunft.
Achtzehntes Kapitel
Er eilte durch die Gassen Sienas, ohne etwas zu hören und zu sehen. Angelo da Matranga war unrasiert und ungekämmt, trug die Sachen, die ihm als Erstes in die Hände gefallen waren. Sein Umhang war schief geschlossen und schleifte an der linken Seite über den Boden. Die Beinkleider passten weder in der Farbe noch stofflich zum Wams, die Schuhe waren mit Schmutzflecken bedeckt, und das Haar hing ihm wirr bis auf die Schultern.
Eine Frau, die Gattin eines Ratsmitgliedes, grüßte ihn freundlich, doch der Visconte achtete nicht darauf. Zwei Bettler, an ihren Gewändern und den Glocken als Lepröse zu erkennen, sprachen ihn an, doch Angelo da Matranga eilte blicklos an ihnen vorbei. Die Witwe Baldini kam mit einem gut gefüllten Einkaufskorb vom Markt und lachte ihn an, doch der Bürgermeister bemerkte es nicht, sondern rempelte sie obendrein noch an.
Endlich war er vor Lauras Haus. Er betätigte den Türklopfer aus Messing so heftig, dass die Bediensteten meinten, ein Feuer sei ausgebrochen. Angelo da Matranga eilte an der Magd vorbei, stürzte die Treppe hoch und riss die Tür zum Wohnzimmer auf. Doch das Zimmer war leer. Auf dem Stuhl, in dem Laura so gern saß, lag verloren ein Stickrahmen, die Wiege des kleinen Angelino war leer.
»Laura!«, rief er in höchster Not, doch niemand antwortete.
»Laura, wo bist du?«
»Sie ist nicht da, Visconte. Laura ist mit Angelino bei ihrer Schwester Gianna.«
Es war Circe da Volterra, die unbemerkt ins Zimmer getreten war.
Der Visconte wirbelte herum, und die Kurtisane erschrak bei seinem Anblick. Sie griff nach seinem Arm und fragte atemlos: »Was ist passiert, Visconte?«
In diesem Augenblick fühlte sich Angelo da Matranga so elend und einsam, so mutterseelenallein und gottverlassen, dass er aufschluchzte. Der Schmerz legte sich so schwer und dunkel auf seine Schultern, dass er vor Circe da Volterra auf den Boden sank, vor ihr kniete, die Hände vor das Gesicht schlug und hemmungslos weinte wie ein Kind.
»Was ist nur passiert?«, fragte Circe. Sie kniete sich vor den Visconte, der vom Weinen geschüttelt wurde wie im schlimmsten Fieber.
Sie fasste nach seinen Schultern und tat das Einzige, was in diesem Augenblick zu tun war: Sie zog ihn zu sich, bettete seinen Kopf in ihrem Schoß und strich ihm beruhigend über den Rücken, ohne noch länger mit Fragen in ihn zu dringen. Nach einer ganzen Weile erst fragte sie erneut: »Visconte, um Gottes willen, was ist geschehen?«
»Orazio«, stammelte da Matranga. »Mein Sohn, er ist tot. Beatrice war es.«
»Oh, mein Gott«, entfuhr es Circe da Volterra. Sie drückte den verzweifelten Mann noch fester an ihren Busen, wiegte und streichelte ihn wie ein Kind.
Es gibt Augenblicke, in denen der kalte Hauch des Todes die warme Haut des Lebens streift. Wem immer so etwas widerfährt, der verspürt das dringende Bedürfnis, sich seines Lebens auf der Stelle zu vergewissern.
Und so erging es auch Angelo da Matranga.
Eingehüllt in die Wärme Circe da Volterras, ihre lebendige Haut spürend und ihren tröstlichen und zugleich verlockenden Duft in der Nase, erwachte in ihm plötzlich jener Urtrieb, der im Bewusstsein der Menschen dicht neben dem Tod liegt. Der Urtrieb, Leben zu spenden.
Er hob sein tränennasses Gesicht und bedeckte Circes Körper mit verzweifelten Küssen. Er klammerte sich an sie, um nicht in seinem Elend zu ertrinken. Und Circe, die erfahrene Kurtisane, hatte ihn endlich dort, wo sie ihn haben wollte. Sie erwiderte seine Küsse mit wilder Leidenschaft. Da war kein vorsichtiges Ertasten und Erkunden des anderen, da war keine Zärtlichkeit, nein, da verschafften sich die Triebe ihr Recht,
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