Bretonische Brandung
ja?«
»Ja.«
»Meine Töchter und ich müssten schon eine aussagekräftige Liste zusammenbekommen. Es waren ja auch viele Stammgäste da. Einige der Leute habe ich Ihnen schon genannt.«
»Das wäre sehr freundlich, Madame Nuz. – Und noch eine andere Sache drängt: Erinnern Sie oder Ihre Töchter sich, was Konan und Lefort gestern Abend gegessen und getrunken haben?«
»Was sie gegessen und getrunken haben?«
Sie zog die Augenbrauen hoch. Dupin war sich darüber im Klaren, dass diese Frage – deutlicher noch als die Bitte nach der Liste – dazu angetan war, zu verraten, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.
»Genau.«
»Wir werden versuchen, uns zu erinnern. Ich glaube, Konan hatte den Hummer. Aber ich bin mir nicht sicher.«
»Und wer hat Zugang zu den Getränken und dem Essen?«
»Sie meinen außer uns?«
»Ja.«
»Wir machen die Getränke hinter dem Tresen fertig und stellen sie dann auf die Tabletts auf dem Tresen. Das Essen holen wir aus der Küche. Die Tabletts stehen manchmal einen Moment, bevor die Gäste sie holen oder wir sie an den Tisch bringen. Das machen wir, wenn es etwas länger dauert. An der Bar ist immer die Hölle los. Da ballen sich die Leute. Sie haben es gerade gesehen. Da haben wir keinen Überblick.«
»Ich verstehe. Wir …«
Die jüngere Nuz-Tochter stand plötzlich vor ihnen.
»Da ist ein Polizist, ein Inspektor Kadeg. Er sucht Sie.«
»Ich komme.«
Dupin wandte sich wieder an Solenn Nuz.
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sofort beginnen würden.«
Jetzt schaute sie doch einen Moment resigniert. Dupin verstand es gut. Vorn saßen dreißig gut gelaunte und fröhlich konsumierende Gäste, es war Abendessenszeit.
»Ich fange gleich damit an«, in Richtung ihrer jüngeren Tochter fügte sie hinzu, »ihr müsst das vorn ein paar Minuten allein machen. Und dann brauche ich euch kurz hier hinten. Beide.«
»Ich danke Ihnen vielmals, Madame Nuz.«
Dupin wandte sich um und ging zurück in die Bar. Kadeg stand direkt am Tresen, mit dem für ihn typisch dringlichen Gesichtsausdruck.
»Es gibt einiges zu besprechen, Monsieur le Commissaire.«
Dupin hätte fast gelacht, so absurd nahm sich Kadegs Satz angesichts der neuen Lage aus.
Kadeg folgte Dupin, der schnurstracks an ihm vorbeilief und auf die Tür zusteuerte. Draußen schritt Dupin in demselben Tempo noch ein paar Meter weiter und blieb erst vor dem naiv-surrealen Großgemälde stehen, genau vor dem Pinguin. Er hatte sich nicht mal vollständig umgedreht, da platzte es aus Kadeg heraus.
»Wir wissen höchstwahrscheinlich, wer der dritte Mann ist«, Kadeg machte eine kleine dramaturgische Pause, um dann fast feierlich zu intonieren: »Grégoire Pajot! Ein Bauunternehmer, Bretone, aus Quimper, hat mittlerweile den Hauptsitz seiner Firma in Paris, wo er wohl überwiegend lebt. Er besitzt ein Haus in Bénodet. Die bretonische Niederlassung der Firma ist in Quimper. Das gesunkene Boot, die Conquerer, ist auf ihn gemeldet, wenn auch erst seit drei Monaten. Es ist ein ganz neues Boot.«
Alles in beflissenem Stakkato vorgetragen, das Kadeg so liebte.
»Woher wissen wir das?«
»Goulch und seine Leute sind zum Boot runter und haben die Registrierung gefunden. Pajot hatte einen Liegeplatz im Port de Plaisance von Bénodet und einen gegenüber in Sainte-Marine.«
»Ist Savoir informiert? Er wird für eine erste Identifizierung Fotos brauchen.«
»Goulch hat ihn umgehend informiert.«
»Hat er eine Frau, Familie?«
»Unverheiratet. Mehr wissen wir noch nicht.«
»Und woher wissen wir das wiederum?«
»Im Bureau du Port muss man die Zulassung für das Boot und eine Kopie des Bootsführerscheins hinterlegen. Ich habe mit dem Hafenmeister von Bénodet telefoniert. Er hat mir erzählt, was er wusste, viel war es nicht. Er kennt Monsieur Pajot kaum, hat er gesagt, da er seinen Platz ja erst seit Kurzem habe. Einen der besten, der teuersten Plätze übrigens. Der Hafenmeister von Sainte-Marine wusste noch weniger. Eigentlich gar nichts. Ich habe auch mit ihm persönlich telefoniert.«
»Hat sich seine Firma nicht gemeldet, wurde er nicht vermisst?«
»Das wissen wir noch nicht. Bei wem hätten sie sich melden sollen? Bei der Polizei? Damit warten die meisten erst mal. Ich habe Bellec gebeten, in Pajots Firma erste Dinge über ihn in Erfahrung zu bringen – er wird sicher eine Sekretärin haben.«
So unlieb es ihm war, er musste Kadeg recht geben. Und Bellec war ein noch unerfahrener, aber kluger Polizist, der
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