Brixton Hill: Roman (German Edition)
Vielleicht wäre es einmal gut, jemanden zu haben, der keine Probleme mit sich herumschleppte. Ausgeglichen war. In sich ruhte.
Sie gingen auf das Canada Gate zu. Em wich zwei Frauen aus, die Kinderwagen vor sich herschoben.
»Dieser Alan, was glaubst du, wo er jetzt ist?«
»Versteckt sich.«
»Und meinst du, dass sein Mitbewohner mit drinhängt?«
»Keine Ahnung.« Fast rannte sie in eine Touristengruppe hinein, die abrupt stehen blieb, um durch den Zaun hindurch das Victoria Memorial zu knipsen. »Sah aus, als würde er sich wirklich Sorgen machen. Aber woher soll ich wissen, ob er mir nicht was vorgespielt hat?«
»Tja.«
»Tja?« Em blieb stehen.
»Wenn man so etwas vorher wüsste …«
»Ich war nicht mit Alan im Bett«, sagte sie. Und sie würde Alex ganz sicher nicht erzählen, was wirklich geschehen war.
»Verstehe.«
Er glaubte ihr nicht. Klar.
»Ich frage mich, was er als Nächstes vorhat. Gehen wir zurück? Oder willst du einmal um Buckingham Palace rum?«
»Zu kalt fürs Schaulaufen. Lass uns zurück zur U-Bahn gehen.« Alex wickelte seinen Schal etwas enger. »Er wird weiter alles versuchen, um an dich ranzukommen.«
»Hast du nicht gerade gesagt, Palmer würde ihre Arbeit gut machen? Warum hat sie ihn dann nicht verhaftet?«
Alex senkte den Blick.
»Siehst du. Das hilft mir alles nicht weiter.«
»Vielleicht hat er wirklich nichts mit allem zu tun und ist nur abgehauen, weil er Angst hatte, dass ihm keiner glaubt.« Sein Blick blieb eine Sekunde an einem jungen Mann hängen, der in Tweedmantel und Tweedmütze auf einer Parkbank saß und mit großer Geste seine Pfeife stopfte.
»Sehr schwache Theorie.«
»Sie haben nichts Verwertbares auf den Festplatten gefunden, die er dir geschickt hat?«
»Alles zerstört. Vielleicht war aber auch gar nichts drauf.«
Er lächelte. »Ich pass auf dich auf.«
»Musst du nicht.«
»Doch.«
Sie verabscheute es, wenn Männer glaubten, sie beschützen zu müssen. Aber sie sagte nichts weiter dazu. Wenigstens war er auf ihrer Seite.
»Du kannst mich jederzeit anrufen, okay?«, sagte Alex.
Sie nickte. Vor dem Eingang zur U-Bahn-Station Green Park blieben sie stehen.
»Ich geh noch ein Stück zu Fuß«, sagte sie. »Wir sehen uns morgen.«
»Bei der Trauerfeier. Ja.«
Er umarmte sie zum Abschied. Es fühlte sich an wie die Umarmungen ihres Bruders. Schade, dachte sie, aber nur für einen ganz kleinen Moment.
Zwanzig Minuten später kam sie in die Henrietta Street. Sie war den direkten Weg gegangen: über den Piccadilly Circus, quer durch das West End, am Leicester Square vorbei. Auf dem Boden vor ihrem Bett lag noch die Hose, die sie sich in der vergangenen Nacht am Zaun zerrissen hatte. Sie gab ihr einen Tritt, sodass sie unter dem Bett landete.
Em setzte sich an ihren Laptop und las sich mäßig interessiert ihre Timeline bei Twitter durch. Dann wechselte sie zu Facebook, um nachzusehen, was ihre Bekannten dort gepostet hatten. Es interessierte sie noch weniger. Sie rief wieder Twitter auf, obwohl sie schon seit Tagen selbst nichts mehr schrieb. Was auch.
Die meisten Tweets beschäftigten sich mit Margaret Thatchers Tod. Em klickte sich zu den Tweets durch, die direkt an sie gerichtet waren. Ein paar Leute erkundigten sich danach, wie es ihr ging. Ob sie zur Trauerfeier kommen konnten. Em antwortete nicht.
Gerade als sie den Laptop zuklappen wollte, sah sie einen neuen Tweet. Der Absender war eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben, ein Profilbild gab es nicht.
es ist noch nicht vorbei.
Em klickte den Absender an. Das Profil war bereits wieder gelöscht worden.
10. APRIL 2013
Kapitel 20
D as fünfzehnjährige Mädchen, das an diesem nebligen Mittwochmorgen im April am Yachthafen in Grays saß, eine Zigarette rauchte und hoffte, dass sein sechs Monate alter Sohn im Kinderwagen ruhig weiterschlafen würde, trug einen viel zu großen Wintermantel (er gehörte eigentlich seiner Mutter) und fingerlose Handschuhe. Das Mädchen hatte sie selbst abgeschnitten. Zum einen war es praktischer, die Fingerkuppen frei zu haben, zum anderen trug sowieso gerade jeder fingerlose Handschuhe. Allerdings wegen der Smartphones. Das Mädchen hatte kein Smartphone. Es wohnte mit seinen Eltern in einer Sozialwohnung im 15. Stock eines Hochhauses gegenüber des Grays Beach Riverside Parks. Von dort hatte man einen schönen Blick auf die Themse, was das einzig Gute an der Wohnung war. Das Mädchen mochte den Fluss, deshalb ging es morgens, wenn es nicht mehr
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