Brockmann Suzanne
würden dieselben Männer anfangen, mit Körperteilen zu denken, die überhaupt kein Hirn haben.“
„So ist nun einmal die menschliche Natur“, gab Harvard zu bedenken. „Du bist eine schöne Frau und …“
„Weißt du, es läuft doch immer wieder auf Sex hinaus“, unterbrach sie ihn ärgerlich. „Immer. Du kannst Männer und Frauen nicht in einen Raum stecken, ohne dass was passiert. Und ich sage gar nicht, dass es nur die Schuld von euch Männern ist. Obwohl Männer richtige Schweine sein können . Ich war zehn, als ich lernen musste, mich vor den Freunden meiner Mutter zu schützen. Zehn! Sie kamen zu uns nach Hause und nahmen Drogen mit ihr. Wenn sie dann völlig weggetreten war, fingen sie an, vor meiner Zimmertür herumzulungern. Meine Großmutter lebte damals noch, und sie verjagte sie. Aber nachdem sie gestorben war, als ich zwölf war, war ich auf mich alleine gestellt. Da bin ich schnell erwachsen geworden, das kannst du mir glauben.“
Als Harvard zwölf war, hatte er Zeitungen ausgetragen. Das Schwierigste war das frühe Aufstehen gewesen. Das und der Dobermann an der Straßenecke Parker und Reingold. Dieser aggressive Hund hatte ihm in der ersten Woche große Angst eingejagt. Aber irgendwann hatte Harvard sich an das frühe Aufstehen gewöhnt und sich mit dem Dobermann angefreundet.
Irgendwie bezweifelte er, dass P. J.s Probleme sich ebenso mühelos hatten lösen lassen.
Sie sah hinaus aufs Meer. Der Wind ließ eine Locke über ihr Gesicht tanzen, Sie aber schien das gar nicht zu bemerken. Oder die Locke störte sie nicht.
Er versuchte, sie sich mit zwölf Jahren vorzustellen. Sie musste so zerbrechlich gewesen sein! Selbst jetzt erschien sie ihm noch zerbrechlich. Für einen Mann konnte es damals nicht schwer gewesen sein, sie zu überwältigen …
Von dem Gedanken wurde ihm schlecht. Aber er musste es wissen. Er musste fragen. „Bist du jemals … Haben sie jemals …“
Sie sah ihn kurz an, doch es gelang ihm nicht, die Antwort in ihren dunklen Augen zu lesen.
„Es gab einen“, sagte sie leise und starrte zurück auf den Ozean vor ihnen. „Er hat sich nicht abbringen lassen, auch nicht, als ich damit gedroht habe, meinen Onkel zu rufen. Natürlich hatte ich gar keinen Onkel. Vielleicht wusste er das. Oder er war einfach zu dicht, um sich darum zu kümmern. Ich musste durch ein Fenster flüchten, um ihm zu entkommen. Leider bin ich in meiner Panik aus dem falschen Fenster gestiegen. Es gab keine Feuerleiter, also bin ich ein Stück an einem kleinen Vorsprung an der Hauswand entlanggeklettert. Da stand ich also im 16. Stockwerk und wusste, dass ich nicht zurückkonnte. Wenn ich ausgerutscht wäre, wäre ich ohne Zweifel tot gewesen. Aber ich wäre lieber gestorben, als zu ihm zurückzugehen, das schwöre ich.“
Harvard glaubte ihr. Der Mann, wer auch immer er war, hatte P. J. zwar körperlich nichts getan, aber emotional hatte er ganze Arbeit geleistet.
Er musste sich räuspern, bevor er sprechen konnte. „Erinnerst du dich an den Namen dieses Hurensohns?“, fragte er sie.
„Ron irgendwie. Ich glaube, ich kannte seinen Nachnamen gar nicht.“
Er nickte. „Zu schade.“
„Warum?“
Harvard zuckte mit den Schultern. „Nicht wichtig. Ich dachte nur, dass ich mich ein bisschen besser fühlen würde, wenn ich ihn aufspüren und ihm die Seele aus dem Leib prügeln könnte.“
P. J. lachte laut auf – atemlos und ein wenig überrascht. „Aber er hat mir doch nichts getan, Daryl. Ich habe mich selbst geschützt … Es ist nichts passiert.“
„Ist das wahr?“ Harvard streckte seine Hand nach ihr aus. Er wusste, dass er das nicht tun sollte. Er wusste, dass allein die Berührung ihrer Haut, wenn er ihr Kinn sanft zu sich drehte, zu viel sein würde. Er würde sie nicht mehr loslassen wollen. Aber er wollte unbedingt in ihre Augen sehen. Also tat er es und fragte: „Ist es nicht so, dass du bis heute unter Höhenangst leidest?“
Sie musste ihm nicht antworten. Er sah die Antwort in ihren Augen, bevor sie den Kopf ruckartig wegdrehte. Sie stand auf und lief ans Ufer, ließ die Wellen ihre Füße umspielen.
Harvard folgte ihr und wartete darauf, dass sie ihn wieder ansah.
In ihrem Kopf drehte sich alles. Höhenangst? Panische Höhenangst traf es besser.
Sie konnte nicht glauben, dass er das bemerkt hatte. Sie konnte nicht glauben, dass sie ihm so viel über sich selbst erzählt hatte. Sie wappnete sich innerlich und drehte sich zu ihm um. „Ich habe kein Problem mit
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