Brodecks Bericht (German Edition)
der Tür steht. Nach einigen Minuten klopft er wieder dreimal, diesmal lauter und nachdrücklicher. «Da habe ich dann verstanden, dass jemand geklopft hat, und habe nachgesehen.»
Schloss macht also die Tür auf und steht direkt vor dem Anderen . «Ich dachte, ich seh nicht richtig! Wo kam der denn her? Aus dem Zirkus oder direkt aus dem Märchen?» Aber der Andere lässt ihm gar keine Zeit, seine Fassung wiederzuerlangen. Er nimmt seinen Hut ab, entblößt seinen runden, kahlen Schädel, grüßt elegant mit seiner komischen Melone und sagt: «Seid gegrüßt, mein Herr. Das sind meine Freunde» – und damit deutet er auf den Esel und das Pferd –, «und wir haben einen langen Weg hinter uns und sind sehr müde. Wären Sie wohl so liebenswürdig, uns Ihre Gastfreundschaft zu gewähren? Selbstverständlich verfügen wir über genügend Mittel, Sie für Ihre Dienste zu entlohnen.»
Schloss ist felsenfest überzeugt, dass der Andere gesagt hat: «Seid gegrüßt, Herr Schloss.» Aber sowohl die kleine Doris als auch Wirfrau haben mir versichert, dass es anders war. Wahrscheinlich war Schloss so erstaunt über die komische Erscheinung und diese Bitte, dass er einige Augenblicke nicht richtig zugehört hat. «Ich wusste einfach nicht, was ich ihm antworten sollte. Wir hatten doch schon jahrelang keine Gäste mehr gehabt, abgesehen von … Du weißt schon. Und obendrein hatte er nicht in unserem Dialekt, sondern in der Sprache aus dem Landesinneren gesprochen, daran waren meine Ohren nicht mehr gewöhnt.»
Menigue Wirfrau hat mir erzählt, Schloss sei eine Weile nur wortlos dagestanden, habe den Anderen angesehen und sich am Kopf gekratzt. Der Andere wiederum regte sich offenbar ebenfalls nicht und lächelte, als wäre das alles völlig normal und als wäre es ohne Bedeutung, dass die Zeit verging. «Sogar sein Esel und sein Pferd rührten sich nicht» – jetzt spricht Doris Klattermeier. «Die beiden Tiere blickten Schloss ruhig an, und ihr Blick war so, als verstünden sie alles», erzählte sie mir ängstlich flüsternd und bekreuzigte sich danach zweimal. Während Gott für die meisten von uns nicht mehr ist als ein entrücktes Wesen aus Büchern und Weihrauch, ist der Teufel ein Nachbar, den manch einer schon gesehen zu haben glaubt.
Endlich bekam Schloss doch noch den Mund auf: «Er hat gefragt, wie viele Nächte er bleiben wolle.» Wirfrau hatte ich in seiner Backstube beim Teigkneten angetroffen. Sein Oberkörper war nackt, auf seiner Brust und um seine Augen herum klebte Mehl. Er hob den großen Batzen Teig mit beiden Armen hoch, ließ ihn in den Backtrog fallen und knetete ihn noch einmal durch. Er sah mich nicht an, während er mit mir sprach. Ich hatte ein Plätzchen zwischen zwei Säcken und dem Holzstoß gefunden. Der Ofen bullerte, und in der kleinen Stube war es heiß und duftete nach Holzfeuer. «Der Andere schien nachzudenken, lächelte noch immer und sah abwechselnd sein Pferd und seinen Esel an; es sah aus, als würde er sie nach ihrer Meinung fragen, dann hat er endlich geantwortet, mit seiner komischen Stimme: ‹Ich glaube, wir werden recht lange bleiben.› Da nickte Schloss, wahrscheinlich, weil er keine Worte fand, aber auch nicht wie ein Dummkopf dastehen wollte, und bat ihn herein.»
Zwei Stunden später hatte der Andere sein Zimmer bezogen, wo Schloss in Windeseile Staub gewischt hatte. Sein Gepäck und seine Koffer waren die Treppe hinaufgetragen worden, und Pferd und Esel standen auf einer dicken Strohschütte im Stall direkt neben dem Gasthaus, der Vater Solzner, dem alten Griesgram, gehörte. Den Tieren hatte man einen Zuber mit Wasser und einen Eimer voll Hafer gebracht, und der Andere war selbst heruntergekommen, um sich zu überzeugen, dass sie gut untergebracht waren, hatte ihre Flanken mit einem Strohwisch abgerieben und ihnen etwas ins Ohr geflüstert, was sonst keiner hören konnte. Dann hatte er Vater Solzner drei Goldstücke auf die Hand gezählt, was dem Preis für eine mehrmonatige Unterbringung der Tiere entsprach. Und als er den Stall wieder verließ, hatte er sich von seinen Tieren verabschiedet und ihnen eine gute Nacht gewünscht.
Mittlerweile war es im Gasthaus immer voller geworden, es hatten sich viele Gäste eingefunden, die das Schauspiel mit eigenen Augen sehen wollten. Ich muss zugeben, dass auch ich gekommen war, obwohl ich eigentlich nicht neugierig bin. Die Neuigkeit hatte sich blitzschnell überall herumgesprochen, und als sich draußen eine laue Nacht
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