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Broken Lands

Broken Lands

Titel: Broken Lands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Milford
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einen kleinen Dornenzweig in seinem Knopfloch. Die militärischen Ränge verunsicherten Sam einen Moment lang, doch dann wurde ihm klar, von wem die Rede war. «Ähm … ja.»
    «Und stimmt es, dass du sie suchst?»
    Die Augen des Mannes waren so durchdringend, dass Sam zusammenzuckte. «Ähm .. ja», sagte er wieder.
    «Ich weiß, wo sie sind. Soll ich Ihnen deine Nachrichten übermitteln?»
    «Oh, aber sicher. Vielen Dank.» Sam erbat sich zwei weitere Blätter Papier von dem Concierge und schrieb seine Botschaften noch einmal auf, während der Soldat wartete. «Haben Sie … haben Sie mit ihnen gedient?»
    «Ja.» Ein Ausdruck der Trauer überflog das Gesicht des Mannes. «In Shiloh. Und dann in Resaca, als Major Bierce noch Oberleutnant und Sergeant Guyot einfach Tom war.»
    Nachdem er die Zettel geschrieben und gefaltet hatte, fiel Sam nichts mehr zu sagen ein. Wieder erkannte er, wie wenig er über den Krieg wusste. Schließlich stieß er hervor: «In Shiloh sind viele Menschen gefallen, nicht wahr?»
    In dem Moment, in dem er das ausgesprochen hatte, hätte er sich am liebsten geohrfeigt. Dieser Mann hatte das Massaker überlebt, aber vermutlich hatte er unzählige Freunde und Kameraden sterben gesehen. Warum sollte er mit einem dusseligen Halbwüchsigen über so etwas reden, der überhaupt nicht begriff, worum es bei diesen Kämpfen gegangen war, abgesehen vielleicht von der Abschaffung der Sklaverei?
    Doch wenn es den Soldaten bekümmerte, ließ er es sich nicht anmerken. «Fünfundzwanzigtausend gefallen, verwundet oder vermisst in Shiloh», antwortete er in einem leichten Singsang, wie ein Prediger, der einen Psalm vorträgt. «Und noch einmal achttausend in Resaca.»
    Fünfundzwanzigtausend Verwundete und Tote? Das war so, als würde man an einem schönen Sommertag, wenn es so aussah, als hätte sich alle Welt in der Stadt versammelt, Gravesend und Coney Island von der Landkarte auslöschen. Es war schockierend, absolut unvorstellbar.
    Der Soldat streckte die schwielige Hand nach den Zetteln aus. «Ich kümmere mich darum», sagte er mit dem Schatten eines Lächelns. Dann war er fort und ließ Sam mit dem Gedanken allein, wie es wohl war, ein solches Blutvergießen erlebt zu haben. Jin konnte ja kaum die Erinnerung an die Leiche in der Gasse abschütteln, nicht einmal für kurze Zeit. Und der bloße Gedanke an den nackten Fuß, über den er gestolpert war, ließ in Sam Übelkeit aufsteigen. Dabei hatte er die grausigen Einzelheiten überhaupt nicht gesehen.
    Hinter dem Hotel war es um den Wagen der Fata Morgana-Kompanie ruhig; alles schien verlassen. Sam klopfte an die Tür und wartete. Niemand öffnete. Er schaute in die drei Zelte, aber auch hier war keiner. Sam klopfte wieder an den Wagen und lief dann hinunter zum Wasser, wo Jin und Liao letzte Nacht ihre Vorstellung gegeben hatten. Nirgends war eine Spur von Liao oder Mr. Burns.
    Er versuchte es als Nächstes im Mietstall. Der einzige Mensch hier war ein Junge, der eine Wagenachse reparierte. «Tschuldigung», rief Sam. «Hast du die Feuerwerksleute irgendwo gesehen?»
    Der Junge lehnte sich hinter einem der großen Räder hervor. «Ja. Sie haben vor etwa einer Stunde einen Wagen samt Kutscher gemietet.»
    «Irgendeine Ahnung, wohin sie wollten?»
    «Nach New York. Genaueres weiß ich nicht.»
    Sam fluchte innerlich. Selbst auf dem schnellsten Weg brauchte man mindestens zwei Stunden nach Manhattan. Sie würden frühestens am späten Nachmittag zurückkommen. «Danke.»
    Nun, wenigstens wusste er, dass sie zur Abendvorstellung wieder da sein würden. Sam ging zurück zum Wagen. Da war immer noch die Sache mit Jins Buch.
    Er fühlte sich wie ein Dieb, als er am Türgriff rüttelte. Natürlich war abgeschlossen. Er ging um den Wagen herum und betrachtete die mit Vorhängen beschirmten Fenster in der Hoffnung, eins wäre offen. Aber auch hier hatte er kein Glück. Dann kam er zu einem Fenster hinten im Wagen, gegenüber der Tür, an dem die Vorhänge einen Spalt breit offen standen. Das Fenster war geschlossen, aber Sam konnte ins Wageninnere schauen. Er erhaschte einen Blick auf die Decke des Wagens.
    Genauer gesagt erhaschte er einen Blick auf die Luke in der Decke, durch die Jin an jenem ersten Morgen geschaut und Feuer in die Luft geschleudert hatte.
    «Tja», murmelte er vor sich hin. «Ein Versuch kann nicht schaden.» Er blickte sich um, ob irgendjemand sah, dass er sich wie ein Einbrecher benahm, sprang in die Höhe, packte die Dachumrandung und

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