Brown, Dale - Feuerflug
würde beschützen können. Sogar im Präsidentenpalast wäre sie nicht sicher gewesen. Was tat sie hier draußen, hunderte von Kilometern von der Zivilisation entfernt, auf der Flucht vor ihrem eigenen Volk wie ein Dieb bei Nacht? Weshalb hatte sie diese seltsame Kommandotruppe, die eine ägyptische Fregatte gekapert hatte, nicht zu sich nach Alexandria kommen lassen? Irgendetwas drängte sie dazu, hierher zu kommen. Sie wusste nicht, wer diese Männer waren, aber eine innere Stimme sagte ihr, sie müsse sich hier draußen selbst umsehen. Nicht allein aus Sicherheitsgründen. Vielleicht lockte die Wüste, die Vorstellung von einer Hedschra und der reinigenden Kraft der Wüste. Vielleicht musste sie wie Moses und Jesus und Mohammed und tausende anderer in der Menschheitsgeschichte spirituelle Kraft aus der Wüste ziehen.
Ungefähr eine Stunde vor Sonnenuntergang befand ihr Hubschrauber sich im Anflug auf den riesigen Militärstützpunkt. Aus der Luft erinnerte Marsá Matrũh mehr an einen Industriekomplex mit Flughafen und eigener Werft als an einen Stützpunkt. Auf einer Fläche von fast zweihundert Quadratkilometern waren hier fast ein Fünftel aller ägyptischen Streitkräfte stationiert. Sie hatten den Auftrag – auch wenn er selten erwähnt wurde, um die arabischen Nachbarn nicht zu verärgern –, einen möglichen Einfall aus Libyen abzuwehren, Ägyptens Nord- und Nordwestflanke zu schützen und sein Recht auf freie Schifffahrt im Mittelmeer zu verteidigen. Der im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen und Italienern angelegte Stützpunkt war dann bis zur Revolution im Jahr 1952 von den Engländern genutzt worden. Susan sah die großen Satellitenantennen, die Bestandteil des ägyptischen Fernmeldenetzes waren, und die Radarantennen des Frühwarnsystems, die nach Norden und Westen blickend ständig Meer und Himmel nach Eindringlingen absuchten.
»Allah muss etwas anderes mit mir vorhaben, als mich auf den Straßen Kairos sterben zu lassen«, sagte Susan zu General Baris, als sie aus dem Hubschrauber stiegen. Sie begutachtete die zu ihrem Empfang bereitstehende kleine Gruppe von Uniformierten. »Diese Männer ...?«
»Handverlesen, um Sie zu beschützen«, sagte Baris. »Von mir besoldet und mir so treu ergeben wie meine eigenen Geschwister. Leider haben Sie selbst hier draußen manche Feinde.« Er stellte ihr mit einer Handbewegung den hohen Offizier vor, der jetzt auf sie zutrat. »Madame, dies ist Vizemarschall Said Ouda, der Kommandeur des Militärbezirks West, zu dem Marsá Matrũh gehört.«
Ouda machte eine leichte Verbeugung, dann legte er seine Hände wieder lässig auf den Rücken. Er war groß, hatte ein kantiges, gut geschnittenes Gesicht mit elegantem Schnurrbart, trug eine Reitgerte unter den linken Arm geklemmt und hatte seine Schirmmütze kess schräg aufgesetzt.
»Mein Beileid, Madame«, sagte er einfach.
»Danke, Vizemarschall«, antwortete Susan Salaam. Sie musterte ihn kühl, dann fragte sie: »Sie missbilligen mein Kommen, nicht wahr, Vizemarschall?«
»Ich habe die Pflicht, mein Land zu schützen und Befehle auszuführen«, sagte er mit leiser, monotoner Stimme. Er warf General Baris einen misstrauischen Blick zu. »Ich stehe bereit, den legitimen Autoritäten zu gehorchen.«
Offenbar begann er daran zu zweifeln, ob Baris überhaupt noch irgendeine legitime Autorität in Ägypten verkörperte.
»Ich will Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen, Vizemarschall«, versicherte Susan ihm.
»Der Präsident ist tot, Madame«, sagte Ouda eisig, »und seine Witwe und sein engster Mitarbeiter verstecken sich weit von der Hauptstadt entfernt auf meinem Stützpunkt. Das ist kein Merkmal legitimer Autorität, wie ich sie verstehe.«
»Trotzdem werden Sie seinen Befehlen gehorchen, wie Sie Präsident Salaam gehorcht hätten«, sagte Susan, »oder Sie werden entdecken, dass Ihr Wert als Kommandeur ägyptischer Streitkräfte stark abgenommen hat.«
Ouda betrachtete Susan mit schwachem Lächeln von Kopf bis Fuß. Seine unausgesprochenen Worte waren kristallklar: Mein Wert ist im Augenblick weit größer als der Ihre. Er musterte sie erneut. Susan kannte auch diesen Blick: Der Mann vergaß vorübergehend, dass sie die Gattin des ägyptischen Präsidenten gewesen war, und musterte sie nur als weitere Frau, die er vielleicht würde erobern können. Ouda war es offenbar gewohnt, das ohne Rücksicht darauf zu tun, wer noch zusah. Er deutete eine weitere Verbeugung an und ging zu seinem Wagen
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