Brown Sandra
Essensresten zu füttern.«
Jade neigte den Kopf zur Seite und schmunzelte. »Und jetzt hat er Sie adoptiert?«
»Nicht mehr lange. Bei der erstbesten Gelegenheit werde ich zusehen, daß er wieder verschwindet.«
»Sie meinen, wenn sein Bein wieder geheilt ist. Das sah mir nach einem selbstgemachten Verband aus.« Sie schmunzelte noch immer.
Dillons Mißmut wuchs. »Er hat sich irgendwo eine böse Schramme geholt. Ich hab’ ein bißchen Peroxyd draufgetan und ihn verarztet. Das war schon alles.«
»Ich weiß nicht, Dillon. Ich glaube, sie haben einen Freund fürs Leben gefunden.«
Er wechselte das Thema, indem er zu der Menschenmenge nickte. »Haben Sie das erwartet?«
»Ja. Gestern abend ist mein Name zum erstenmal in der hiesigen Zeitung aufgetaucht.«
Sein Blick schwang wieder zu ihr zurück. »Gibt es einen Grund, weshalb Ihr Name für solch reges Interesse sorgt?«
»Durchaus möglich. Ich bin hier aufgewachsen.«
Er reagierte darauf wie auf einen Stromschlag. Eindringlich schaute er sie an. »Ist ja lustig, daß Sie vergessen haben, mir das zu erzählen.«
Doch ehe Jade die Gelegenheit hatte, darauf zu antworten, kam der Bürgermeister von Palmetto auf sie zu. »Miss Sperry, geben Sie den Leuten noch fünf Minuten oder so, bis alle einen Platz gefunden haben, dann können Sie mit Ihrer Präsentation beginnen. Was schätzen Sie, wie lange wird es alles in allem dauern?«
»Ungefähr zehn Minuten. Dann gebe ich Ihnen die Möglichkeit, Fragen zu stellen.«
»Na prächtig. Nehmen Sie sich soviel Zeit, wie Sie wollen, junge Dame. Heute ist ein großer Tag. Ich kann es noch immer gar nicht so recht fassen.«
Sie ignorierte seinen Überschwang und stellte ihm Dillon vor. Während sich die beiden Männer die Hände schüttelten, entdeckte Jade eine Frau, die im Publikum saß.
Unwillkürlich formten ihre Lippen den Namen: »Donna Dee.«
Ihre ehemalige Freundin aus Jugendtagen hatte nie ihren Überbiß korrigieren lassen, und so lief ihr schmales Gesicht noch immer oberhalb der Oberlippe in einem Punkt zusammen. Das Haar trug sie jetzt kurzgeschnitten, aber es war noch immer dünn und glatt.
Und dennoch gab es einige markante Veränderungen an ihrem Äußeren. Sie sah jetzt nicht mehr aus, als sei sie einem Zeichentrickfilm entsprungen, sondern wirkte verbittert. Ihre Augen schienen tiefer zu liegen, was sie verschlagener aussehen ließ als früher. Sie erinnerte an ein mißtrauisches Tier, das aus seinem Bau heraus auf die Welt um sich späht.
Ihr Blick war ungewöhnlich ruhig, ganz auf Jade gerichtet. Die Zeit hatte zu beiden Seiten ihres vorstehenden Mundes tiefe Furchen gezeichnet. Jade und Donna Dee waren im gleichen Alter, doch Donna Dee sah mindestens zehn Jahre älter aus.
Plötzlich bedauerte Jade, daß sie sich nicht mit einem guten Gefühl an all die Nächte erinnern konnte, in denen sie mal bei ihr zu Hause, mal bei Donna Dee übernachtet hatten, kichernd und voller rosaroter Träume, was ihre Zukunft betraf. Stets ging es dabei um die Männer, die sie heiraten würden – Gary und Hutch. Zumindest für eine von ihnen beiden war der Wunsch Wirklichkeit geworden. Jades Gedanken mußten ihr ins Gesicht geschrieben stehen, denn Donna Dee senkte als erste den Blick und schaute auf ihren Schoß.
Es war merkwürdig, daß Hutch fehlte. Viele waren als Ordnungskräfte hier, aber Hutch war nicht darunter. Er war immer groß und kräftig gewesen, im Grunde seines Herzens
jedoch ein Feigling. Kein Zweifel
er versuchte, der Konfrontation mit ihr, der ersten seit fünfzehn Jahren, aus dem Weg zu gehen.
Das eine oder andere Gesicht in der Menge war Jade noch vage vertraut. Bei anderen fielen ihr die Namen ein. Myrajane Griffith hatte sie nicht gesehen, aber Myrajane war bekannt dafür, daß sie sich nicht gern unters gemeine Volk mischte, da sie die meisten schlicht für Gesindel hielt. Und natürlich war Lamar nicht hier. Jade hatte nur noch einmal von ihm gehört, nachdem sie sich in Morgantown begegnet waren. Wie schon beim erstenmal hatte er sie um Verständnis gebeten. Sie bedauerte seinen tragischen Tod, aber er hatte ihre Entschlossenheit nicht verringert – Lamar war ohne Vergebung gestorben.
Der Bürgermeister kam wieder auf sie zu. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und zupfte wichtigtuerisch am Saum seines Jacketts. »Nun, wenn Sie soweit wären, Miss Sperry. Ich schätze mal, wir können loslegen.«
Jade spürte einen Adrenalinstoß. »Ich bin bereit.«
Der Bürgermeister trat ans Mikrophon und
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