Brown Sandra
Miss Dorothy ihren Buchhalter entließ und Jade die gesamte Abrechnung übertrug.
»Ich brauche mehr Geld«, hatte Jade ihrer Arbeitgeberin freundlich, aber bestimmt gesagt. »Mindestens fünfzig Dollar pro Woche.«
Sie einigten sich auf vierzig Dollar Gehaltserhöhung. Den größten Teil davon sparte Jade. Sie wollte nie wieder in die Situation geraten, von ihren letzten zwanzig Dollar leben zu müssen.
Die Hearons und Jade schafften es gemeinsam durch die schlimmen ersten zwei Jahre ihres Sohnes. Cathy räumte alles Zerbrechliche aus dem Weg. Mitch baute etwas von Grahams überschüssiger Energie ab, indem er ihn, wenn er nachmittags von der Uni kam, auf lange Spaziergänge mitnahm. Bei jedem Wetter unternahmen sie Streifzüge durch die Nachbarschaft. Mitch erzählte Graham von den Wundern des Universums, und Graham lauschte ihm, als würde er verstehen.
Sie brachten immer etwas von ihren Ausflügen mit– Eicheln, Raupen und manchmal einen Strauß wilder Blumen für den Wohnzimmertisch.
Hank kam im Herbst zurück. Jade war überrascht, wie sehr sie sich freute, ihn wiederzusehen. Wie versprochen, hatte er ihr einmal in der Woche geschrieben. Seine Briefe waren immer spannend und voller Anekdoten, und er vergaß nie, ein selbstgemaltes Bild für Graham beizulegen. Sie trafen sich nach den Ferien jeden Tag, und als ein Monat vergangen war, brachte Jade noch einmal das alte Thema auf. »Hank, du hast doch nicht vergessen, was ich dir im Frühling gesagt habe, oder?«
»Nein. Hast du vergessen, was ich gesagt habe?«
Sie sah ihn verzweifelt an. »Aber ich fühle mich schuldig. Du solltest ausgehen, Spaß haben. Du solltest Freundschaften knüpfen, die mehr … die erfüllender sind.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Damit willst du doch nur sagen, daß ich mir wen zum Vögeln suchen soll, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Wenn ich das wollte, würde ich es tun, okay? Im Moment hat die einzige Frau, mit der ich schlafen will, einige Probleme am Hals. Ich werde es schon aushalten, bis sie damit klargekommen ist.«
»Nein, bitte Hank. Ich werde diese Probleme nie loswerden. Und ich will nicht dafür verantwortlich sein, daß du unglücklich bist.«
»Ich bin nicht unglücklich. Ich bin lieber mit dir zusammen und verzichte aufs Bumsen, als daß ich mit einer bumse, um mir dabei vorzustellen, sie wäre du. Verstehst du das?«
»Nein.«
Er lachte, aber sein Blick war ernst. »Da wäre allerdings etwas, was du für mich tun könntest.«
»Was?«
»Laß dir von einem Profi helfen.«
»Du meinst, von einem Psychiater?«
»Von einem Psychiater, Therapeuten, was auch immer.«
Er biß sich auf die Unterlippe, bevor er hinzufügte: »Jade, ich will dich nicht aushorchen, aber ich habe das Gefühl, daß du aufgrund eines traumatischen Erlebnisses solche Schwierigkeiten mit Männern hast. Liege ich da falsch?« »Nicht mit Männern im allgemeinen. Ich mag Männer.«
»Dann ist es eben die Angst vor sexuellem Kontakt. Du warst nicht von mir angewidert, als ich mit dir schlafen wollte– du hattest schreckliche Angst.«
Sie widersprach ihm nicht, hielt aber den Blick gesenkt.
»Es könnte dir vielleicht helfen, mit jemandem darüber zu reden.«
»Erhoff dir nicht zuviel davon.«
»Ein Versuch kann nicht schaden.«
Sie sprachen nie wieder darüber, doch seitdem spielte Jade mit dem Gedanken. Sorgfältig wägte sie die Vor- und Nachteile ab. Ein Nachteil waren die Kosten. Sie sträubte sich, Geld für etwas auszugeben, das sich wahrscheinlich nicht rentierte. Dann war da noch Hank selbst. Vielleicht würde er von ihren Besuchen bei einem Psychologen sofortigen Erfolg erwarten und sie noch mehr unter Druck setzen als bisher. Ganz abgesehen davon war es momentan keinesfalls ihr Hauptziel, eine funktionierende Beziehung zu einem Mann aufzubauen, sondern sich für Garys Tod zu rächen. Wenn sie sich auf ihre Phobie konzentrierte, konnte sie dieses Ziel vielleicht aus den Augen verlieren.
Andererseits lagen die Vorteile auf der Hand. Sie würde vielleicht wieder ›normal‹ werden.
Ein Jahr sollte verstreichen, ehe sie einen ersten Termin vereinbarte. Mehrere Wochen lang behielt sie ihren Entschluß für sich. Als sie Hank schließlich doch davon erzählte, faßte er sie bei den Schultern, drückte sie und rief »Wunderbar! Großartig!«
Die ersten Sitzungen waren jedoch weder wunderbar noch großartig. Jades Gespräche mit der Psychologin rissen Wunden auf, von denen sie gehofft hatte, sie seien durch die Zeit und die Entfernung
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