Brüder Des Zorns
daran gewöhnt waren, Fußsoldaten einfach niederzureiten oder sich mit adligen Caboreitern anzulegen.
Als er ihnen seinen mächtigen Bogen präsentierte, zeigten sie sich belustigt. Ihre Schilde und Rüstungen schützten bestens vor dieser Waffe, behaupteten sie. Es war offensichtlich, dass sie seit Jahren an keinem echten Kampf mehr teilgenommen hatten. Ihr Mut beeindruckte Ansa, aber natürlich bedurfte es mehr als edlem Kampfgeist, um einen Krieg gegen Gasams Truppen zu gewinnen. Er hoffte, die Infanterie Grans würde sich als verheißungsvoller erweisen.
Die Errichtung des Lagers erwies sich als umständlicher und langatmiger Vorgang, denn die hohen Adligen und ihr Gefolge benötigten große, mit jeglichem Luxus ausgestattete Pavillons. Ansa machte sich nicht darüber lustig, wie er es sonst insgeheim getan hätte, denn er wusste, dass der äußere Eindruck einer Gesandtschaft nicht unbedeutend war. Die Zurschaustellung von Reichtum war Sinnbild für Macht und Ansehen eines Herrschers.
Er erkundigte sich bei den Kriegern, ob ihre Anführer auch so bepackt waren, wenn sie in den Krieg zogen, aber die Männer versicherten ihm, dass sie zwar nicht karg ausgerüstet waren, sich aber hüteten, im Ernstfall unnützen Prunk zu entfalten.
Der Weg nach Westen führte allmählich bergan und durch ein weniger dicht bewaldetes Gebiet. Wie man ihm vorausgesagt hatte, wurden die Nächte kühler und feucht, denn schwerer Nebel lag über den Hügeln, die sie überquerten. Da sie nur langsam vorankamen, nutzte Ansa die Zeit und ging auf die Jagd. Es gab reichlich Wild, und seine Beute machte ihn zum willkommenen Gast an jedem Feuer, an dem er sich niederließ.
Als sie sich dem Fluss näherten, quoll die Straße über mit Flüchtlingen aus Sono. Die Grenzfestungen waren von ihnen regelrecht überschwemmt worden, und viele Menschen schwammen durch den Strom, um nicht durch langwierige Formalitäten aufgehalten zu werden. Wenn sie rasteten, fragten Ansa und andere Männer die Flüchtlinge aus. Sie hörten entsetzliche Geschichten von Mord, Vergewaltigung und Zerstörung. Die Eindringlinge rissen Vieh, Land und die Ernten an sich, nahmen sich Frauen nach Belieben und unterjochten die Männer. Sklavenhändler, die dem Heer wie Aasfresser folgten, bemächtigten sich der restlichen Frauen und Kinder, die sie aneinanderketteten und mitnahmen.
Das alles war nichts Ungewöhnliches und geschah in jedem Krieg. Viel schlimmer war die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der Gasam den größten Teil Sonos erobert hatte. Er beherrschte das Land, während der König tatenlos in der Hauptstadt saß, die der Feind belagerte.
Obwohl er nicht mit ihnen sprach, bereitete es Ansa keine Schwierigkeiten, die Mienen der Edelleute zu deuten. Die meisten von ihnen sahen grimmig drein. Eindeutig war Gasam, vertreten durch seine Königin, bei den Verhandlungen in der besseren Ausgangsposition. Floris, der Außenminister, und Impimis, der Erste Ratgeber, wirkten entspannt. Ob es an ihrer guten Selbstbeherrschung lag oder daran, dass sie glaubten, wenig zu fürchten zu haben, vermochte Ansa nicht mit Sicherheit zu sagen.
KAPITEL FÜNFZEHN
S ie erreichten sanft gewelltes Hügelland, das zur Flussebene führte. Der erste Blick auf den Kol überraschte Ansa über alle Maßen.
Zuletzt hatte er ihn weit im Norden gesehen und gedacht: Was für ein breiter Fluss. Jetzt jedoch lag ein riesiger Strom vor ihm. Zahlreiche kleinere Flüsse mündeten auf dem Weg durch den Dschungel des Südens in den Kol. Trotz seiner Breite war er nicht tief und die Strömung zumeist ungefährlich.
Die Insel der Tränen bildete ein längliches Oval in der Mitte des Flusses. Die nördliche Hälfte bestand aus einem niedrigen, mit Bäumen bewachsenen Hügel, der Rest aus flachem Grasland. Selbst aus großer Feme sah man die bunten Zelte, die auf dem Grasland standen, und die weidenden Tiere. Ein funkelndes Licht lag über der Insel, als würden die Sonnenstrahlen von unzähligen Waffen reflektiert. Ehe sie zum Ufer des Flusses hinabritten, ließ Lord Floris anhalten und sprach zuerst zu den Diplomaten, dann zu den Kriegern. Ansa hörte beiden Ansprachen zu.
»Werte Lords und Angehörige des diplomatischen Korps«, begann er. »Die Frau, die wir treffen, ist eine blutrünstige Wilde, die vorgibt, eine Königin zu sein. Wie lächerlich das auch sein mag, es ist von größter Wichtigkeit, dass wir uns verhalten, als sei sie, was sie sein möchte. Seid so höflich und
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