Brunetti 04 - Vendetta
Computervernetzung mit Interpol und den technischen Daten und Leistungsangaben einer neuartigen Pistole. Brunetti schob die Blätter unwillig beiseite. Der Questore hatte vor kurzem eine Mitteilung des Innenministers erhalten, die ihn darüber informierte, daß der nationale Polizeietat im nächsten Jahr um mindestens fünfzehn, wenn nicht gar um zwanzig Prozent gekürzt werden solle und mit einer Erhöhung der Mittel in naher Zukunft nicht zu rechnen sei. Dennoch schickten diese Trottel in Rom ihm weiterhin Projekte und Pläne, ganz als ob Geld da wäre, ganz als ob es nicht schon alles gestohlen oder auf Nummernkonten in der Schweiz überwiesen worden wäre.
Er nahm das Blatt mit den technischen Daten der Pistole, die nie angeschafft würde, drehte es um und machte sich auf der Rückseite eine Liste der Leute, mit denen er sprechen wollte: Trevisans Witwe und ihr Bruder, ihre Tochter Francesca und jemand, der ihm sowohl über Trevisans Anwaltspraxis als auch über sein Privatleben genauere Auskünfte geben konnte.
In einer zweiten Spalte notierte er die Dinge, die ihm nicht aus dem Kopf gingen: Francescas Geschichte, oder war es nur Wichtigtuerei?, daß jemand sie zu entführen versuchen könnte; Lottos Zögern, eine Liste mit Trevisans Klienten herauszurücken; Lottos Überraschung, als der Name Favero fiel.
Und das alles war, wie er jetzt merkte, überlagert von den Telefonnummern und diesen Anrufen in alle Welt, aus denen sich noch immer kein Muster herauslesen ließ, kein erklärbarer Anlaß.
Als er in die unterste Schreibtischschublade griff, um das Telefonbuch herauszuholen, dachte er, wie nützlich es doch wäre, es Favero gleichzutun und die häufig gebrauchten Telefonnummern in einem Notizbuch stehen zu haben. Aber jetzt suchte er eine Nummer, die er noch nie angerufen hatte, weil er bisher noch nie die Gefälligkeit hatte einfordern wollen, die ihm geschuldet wurde.
Vor drei Jahren hatte sein Freund Danilo, der Apotheker, ihn eines frühen Abends angerufen und gebeten, zu seiner Wohnung zu kommen, wo Brunetti ihn mit einem fast zugeschwollenen Auge antraf, als wäre er in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Es hatte tatsächlich eine gewalttätige Szene gegeben, doch sie war vollkommen einseitig gewesen, denn Danilo hatte keinen Versuch gemacht, sich dem jungen Mann zu widersetzen, der in seine Apotheke gekommen war, als er gerade schließen wollte. Ebensowenig hatte er Widerstand geleistet, als dieser junge Mann den Giftschrank der Apotheke aufbrach und sieben Ampullen Morphium herausnahm. Aber Danilo hatte ihn erkannt und zu dem jungen Mann, als er gerade gehen wollte, nur gesagt: »Das solltest du nicht tun, Roberto«, was für den Jungen Provokation genug war, um dem Apotheker einen wütenden Stoß zu versetzen, der ihn seitlich gegen die Kante einer Ausstellungsvitrine schleuderte.
Roberto war, wie nicht nur Danilo und Brunetti, sondern auch die meisten Polizisten der Stadt wußten, einziger Sohn Mario Beniamins, des Vorsitzenden Richters am Kriminalgericht von Venedig. Bis zu diesem Abend hatte seine Drogenabhängigkeit ihn nie zu Gewalt verführt, denn er hatte sich immer mit gefälschten Rezepten und dem Verkauf von Dingen, die er aus den Wohnungen von Eltern und Freunden stahl, behelfen können. Mit diesem tätlichen Angriff auf den Apotheker aber, mochte er auch nicht vorsätzlich gewesen sein, hatte Roberto sich unter die Kriminellen der Stadt begeben. Nachdem Brunetti mit Danilo gesprochen hatte, war er zum Haus des Richters gegangen und über eine Stunde bei ihm geblieben; am nächsten Morgen hatte Richter Beniamin seinen Sohn in eine kleine Privatklinik bei Zürich gebracht, wo Roberto sich die nächsten sechs Monate aufhielt, um danach irgendwo bei Mailand eine Töpferlehre anzufangen.
Diese von Brunetti spontan geleistete Gefälligkeit war die ganzen Jahre zwischen ihm und dem Richter in der Versenkung geblieben, etwa wie ein Paar zu teure Schuhe ganz unten im Kleiderschrank liegenbleiben und so gut wie vergessen sind, bis man eines Tages zufällig darüber stolpert und schmerzhaft daran erinnert wird, daß man sich einmal leichtgläubig auf so ein schlechtes Geschäft eingelassen hat.
Im Gericht wurde nach dem dritten Klingeln abgehoben, und es meldete sich eine Frauenstimme. Brunetti nannte seinen Namen und verlangte mit Richter Beniamin verbunden zu werden.
Kurz darauf meldete sich der Richter. »Buon giorno, commissario. Ich habe mit Ihrem Anruf schon gerechnet.«
»Ja«,
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