Brunetti 04 - Vendetta
billigte diesen Vorschlag mit einem Nicken. »Mein Bruder ist Journalist. In dem Sommer arbeitete er an einem Artikel über den bewußten Strand und hat mich gebeten, mit ihm hinzugehen. Er dachte, dann sähen wir wie ein Pärchen aus, und die Leute würden uns in Ruhe lassen. Ich meine, uns in Ruhe lassen, aber mit ihm reden.« Wieder unterbrach sich Rondini und blickte auf seine flattrigen Hände hinunter.
Als er nicht weitersprach und es auch nicht den Eindruck machte, als wollte er noch etwas sagen, fragte Brunetti: »Und da ist es passiert?« Als Rondini weder antwortete noch aufsah, bohrte Brunetti nach: »Dieser Vorfall?«
Rondini holte tief Luft und fing wieder zu reden an. »Ich bin schwimmen gegangen, aber dann wurde es kühl, und ich wollte mich wieder anziehen. Mein Bruder war ein Stück weitergegangen und unterhielt sich mit irgendwem, und ich dachte, ich wäre allein. Jedenfalls war niemand im Umkreis von zwanzig Metern. Da habe ich mich also hingesetzt und meine Badehose ausgezogen, und als ich gerade meine andere Hose wieder anziehen wollte, kamen plötzlich zwei Polizisten an und befahlen mir aufzustehen. Ich wollte mir noch die Hose hochziehen, konnte aber nicht, denn einer der Polizisten hatte sich drauf gestellt.« Rondi nis Stimme klang immer gepreßter, ob aus Verlegenheit oder Wut, konnte Brunetti nicht sagen.
Der junge Mann fuhr sich mit einer Hand ans Kinn und begann abwesend über seinen Bart zu streichen. »Daraufhin wollte ich meine Badehose wieder anziehen, aber einer von ihnen hat sie aufgehoben und festgehalten.« Rondini verstummte.
»Und dann, Signor Rondini?«
»Ich bin aufgestanden.«
»Und?«
»Sie haben eine Anzeige gegen mich geschrieben, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses.«
»Haben Sie ihnen die Sache erklärt?«
»Ja.«
»Und?«
»Sie haben mir nicht geglaubt.«
»Und Ihr Bruder? Ist der nicht zurückgekommen?«
»Nein. Das Ganze dauerte keine fünf Minuten. Als er zurückkam, hatten sie schon die Anzeige geschrieben und waren gegangen.«
»Was haben Sie unternommen?«
»Nichts«, sagte Rondini und blickte Brunetti direkt in die Augen. »Mein Bruder meinte, ich solle mir keine Gedanken machen, die müßten mich benachrichtigen, wenn sie etwas daraus machen wollten.«
»Und, hat man Sie benachrichtigt?«
»Nein. Zumindest habe ich nie mehr was gehört. Aber zwei Monate später rief mich ein Freund an und sagte, er habe meinen Namen im Gazzettino gelesen. Es hätte irgendein Verfahren gegeben, aber ich wurde nie verständigt. Ich habe nie etwas gehört, bis ich eines Tages einen Brief bekam, in dem stand, ich sei verurteilt worden.«
Brunetti dachte ein Weilchen darüber nach und fand es keineswegs merkwürdig. Eine Ordnungswidrigkeit wie diese konnte leicht durch die Ritzen des Justizwesens fallen, und dann sah ein Mensch sich plötzlich verurteilt, ohne je offiziell angeklagt gewesen zu sein. Allerdings verstand er nicht, warum Rondini damit zu ihm kam.
»Haben Sie versucht, die Entscheidung rückgängig machen zu lassen?«
»Ja, aber da sagte man mir, es sei zu spät, ich hätte vor Abschluß des Verfahrens etwas dagegen tun müssen. Aber es hat ja gar keine Verhandlung oder so etwas stattgefunden.« Brunetti nickte, er kannte diese Art der Behandlung von Ordnungswidrigkeiten. »Aber das bedeutet, daß ich jetzt vorbestraft bin.«
»Schuldig gesprochen wegen einer Ordnungswidrigkeit«, korrigierte Brunetti.
»Aber immerhin«, beharrte Rondini.
Brunetti legte den Kopf schief und zog die Augenbrauen hoch, eine Geste, die gleichzeitig skeptisch und beschwichtigend sein sollte. »Ich glaube nicht, daß Sie sich irgendwelche Sorgen machen müssen, Signor Rondini.«
»Ich will heiraten«, sagte Rondini, und mit dieser Antwort wußte Brunetti nun gar nichts mehr anzufangen.
»Jetzt kann ich Ihnen leider nicht ganz folgen.«
Rondinis Stimme klang angespannt, als er erklärte: »Meine Verlobte. Ihre Familie soll nicht erfahren, daß ich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses an einem Homosexuellenstrand verurteilt worden bin.«
»Weiß Ihre Verlobte davon?« erkundigte sich Brunetti.
Er sah Rondini schon zu einer Antwort ansetzen und sich dann eine andere überlegen. »Nein. Als das passierte, kannte ich sie noch nicht, und dann hat sich nie der richtige Zeitpunkt ergeben, um es ihr zu sagen. Oder ich wußte nicht, wie. Für meinen Bruder und meine Freunde ist das jetzt nur noch eine komische Geschichte, aber meine Verlobte fände es, glaube ich,
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