Brunetti 07 - Nobiltà
betrachtete, sich in derselben Weise entwickelt hätte, wenn er Versicherungsvertreter oder Verwaltungsbeamter geworden wäre. Brunetti wusste aber auch, was eitle Spekulationen waren, und so streckte er die Hand aus und zog das Telefon zu sich heran.
6
Brunetti hätte es vulgär gefunden, Paola je zu fragen, wie viele Zimmer es im Palazzo ihrer Familie gab, und so kannte er ihre Zahl bis heute nicht, so wenig wie die Zahl der Telefonanschlüsse im Palazzo Falier. Er kannte drei Nummern: einmal die mehr oder weniger offizielle, die allen Freunden und Geschäftspartnern gegeben wurde, dann die Nummer, die nur Familienangehörige bekamen, und die Privatnummer des Conte, die zu benutzen er bisher nie für nötig befunden hatte.
Er wählte die erste, da es sich ja nicht gerade um einen Notfall oder um eine ausgesprochen private Angelegenheit handelte.
»Palazzo Falier«, meldete sich nach dem dritten Klingeln eine Männerstimme, die Brunetti noch nie gehört hatte.
»Guten Morgen. Hier ist Guido Brunetti. Ich möchte gern mit...«, hier stockte er kurz, weil er nicht recht wusste, ob er den Conte unter seinem Titel oder als seinen Schwiegervater verlangen sollte.
»Er spricht gerade auf der anderen Leitung, Dottore Brunetti. Kann er Sie zurückrufen? Sagen wir in...«, jetzt war es an dem anderen zu stocken. »Das Lämpchen ist eben ausgegangen. Ich verbinde Sie.«
Es folgte ein sanftes Klicken, dann hörte Brunetti den tiefen Bariton seines Schwiegervaters: »Falier.« Sonst nichts.
»Guten Morgen. Hier ist Guido.«
Die Stimme am anderen Ende wurde milder, wie immer in letzter Zeit. »Ah, Guido, wie geht es dir? Und was machen die Kinder?«
»Alle wohlauf - Und wie steht es bei euch?« Er konnte seine Schwiegermutter einfach nicht »Donatella« nennen, und »Contessa« wollte ihm auch nicht über die Lippen.
»Danke, uns geht es beiden gut Was kann ich für dich tun?« Der Conte wusste, dass es kaum einen anderen Grund für Brunettis Anruf geben konnte.
»Ich wüßte gern alles über die Familie Lorenzoni, was du mir sagen kannst.«
In dem darauffolgenden Schweigen konnte Brunetti fast hören, wie der Conte die Jahrzehnte an Informationen, Skandalen und Gerüchten durchging, die er über die ersten Familien der Stadt besaß, »Warum interessierst du dich für sie, Guido?« fragte er endlich und fügte noch hinzu: »Wenn du mir das sagen darfst.«
»Man hat in der Nähe von Belluno die Leiche eines jungen Mannes ausgegraben. Bei ihm wurde ein Ring mit dem Familienwappen der Lorenzonis gefunden.«
»Es könnte natürlich die Leiche lassen sein, der den Ring gestohlen hat«, meinte der Conte.
»Es könnte praktisch jeder sein«, pflichtete Brunetti ihm bei. »Aber ich habe mir die Akte über die damaligen Ermittlungen in dem Entführungsfall angesehen und ein paar Dinge gefunden, die ich gern klären würde.«
»Was zum Beispiel?« wollte der Conte wissen.
In den zwanzig Jahren, die sie sich kannten, hatte Brunetti seinen Schwiegervater noch nie indiskret erlebt. Außerdem hatte Brunetti nichts mitzuteilen, was nicht jeder wissen durfte, der sich für die Ermittlungen interessierte. »Zwei Personen haben ausgesagt, sie hätten zuerst an einen Streich gedacht. Und der Stein, der das Tor blockierte, er muss von innen davorgelegt worden sein.«
»Ich habe die Einzelheiten nicht genau im Kopf, Guido. Ich glaube, wir waren damals gerade im Ausland. Das war vor ihrer Villa, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Brunetti, und ein Unterton in der Stimme des Conte ließ ihn fragen: »Warst du schon einmal dort?«
»Ein- oder zweimal.« Der Ton verriet diesmal nicht das Geringste.
»Dann, kennst du das Eingangstor?« Brunetti wollte nicht so direkt danach fragen, wie gut sein Schwiegervater die Lorenzonis kannte. Jedenfalls noch nicht.
»Ja«, antwortete der Conte. »Ein Doppeltor, das nach innen aufgeht. An der Mauer ist eine Sprechanlage, da müssen Besucher klingeln und sich melden. Das Tor kann vom Haus aus geöffnet werden.«
»Oder von außen, wenn man den Nummerncode kennt«, ergänzte Brunetti. »Das hat die Freundin ja versucht, aber das Tor ging nicht auf.«
»Die kleine Valloni, nicht wahr?« fragte der Conte.
Brunetti kannte den Namen aus dem Bericht. »Ja. Francesca.«
»Hübsches Mädchen. Wir waren bei ihrer Hochzeit.«
»Hochzeit?« wiederholte Brunetti. »Wann war denn das?«
»Vor gut einem Jahr. Sie hat diesen jungen Salviati geheiratet; Enrico, Fulvtos Sohn; der so eine Vorliebe für
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