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Brunetti 07 - Nobiltà

Brunetti 07 - Nobiltà

Titel: Brunetti 07 - Nobiltà Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sagte er: »Ich werde wohl morgen mit Vianello nach Belluno fahren.«
    »Wegen des jungen Lorenzoni?«
    »Ja.«
    »Wie haben die Eltern es aufgenommen?«
    »Schlecht, besonders die Mutter.«
    Er merkte, dass Paola über den Verlust des einzigen Sohnes lieber nicht nachdenken wollte. Wie immer in solchen Fällen lenkte sie mit Detailfragen ab. »Wo hat man ihn eigentlich gefunden?«
    »In einem Acker.«
    »Einem Acker? Wo?«
    »In einem der Dörfer mit diesen seltsamen bellunesischen Namen - Col di Cugnan, glaube ich.«
    »Und wie wurde er denn gefunden?«
    »Ein Bauer hat den Acker gepflügt und dabei die Gebeine zutage gefördert.«
    »Gütiger Himmel, wie schrecklich«, sagte, sie und fügte unvermittelt hinzu: »Und du musstest ihnen das mitteilen und dann zu diesem scheußlichen Essen nach Hause kommen.«
    Brunetti musste wider Willen lachen.
    »Was ist daran so komisch?«
    »Dass du als erstes ans Essen denkst.«
    »Das habe ich von dir, mein Lieber«, sagte sie, und in ihrem Ton lag so etwas wie nachsichtiger Hochmut. »Vor unserer Heirat habe ich an Essen kaum einen Gedanken verschwendet.«
    »Wie hast du dann so gut kochen gelernt?«
    Sie winkte ab, aber er spürte außer ihrer Verlegenheit auch, den Wunsch, sich die Wahrheit entlocken zu lassen, und bohrte nach. »Doch, sag es mir: Wie hast du so gut kochen gelernt? Ich habe gedacht, du tätest seit Jahren nichts anderes.«
    »Ich habe mir ein Kochbuch gekauft«, antwortete sie verdächtig schnell.
    »Ein Kochbuch? Du? Warum?« »Als ich wusste, dass ich dich nun mal sehr gern hatte, und merkte, wie wichtig dir Essen ist, fand ich es an der Zeit, kochen zu lernen.«
    Sie sah ihn an und wartete auf seinen Kommentar, als keiner kam, sprach sie weiter: »Ich habe zu Hause damit angefangen, und glaub mir, manche meiner ersten Versuche waren sogar noch schlimmer als das, was wir heute abend hatten.«
    »Schwer zu glauben«, sagte Brunetti. »Und?«
    »Also, ich wusste, dass ich dich mochte, und wahrscheinlich wusste ich auch, dass ich mit dir zusammen sein wollte. Da bin ich also drangeblieben, und mit der Zeit...«
    Sie unterbrach sich, und ihre ausholende Geste umfasste die ganze Küche.
    »Mit der Zeit habe ich es dann wohl gelernt.«
    »Aus einem Kochbuch?«
    »Und mit etwas Hilfe.«
    »Von wem?«
    »Damiano. Er kocht sehr gut, wie du weißt. Außerdem von meiner Mutter: Und nachdem wir verlobt waren, auch von deiner.«
    »Meine Mutter hat dir Kochen beigebracht?« Paola nickte, und Brunetti sagte: »Sie hat mir nie etwas davon erzählt.«
    »Das habe ich mir auch von ihr versprechen lassen.«
    »Warum?«
    »Ich weiß auch nicht, Guido«, log sie ganz offensichtlich. Er schwieg, denn er wusste aus langer Erfahrung, dass sie es ihm gleich erklären würde. »Wahrscheinlich wollte ich bei dir den Eindruck erwecken, dass ich alles kann, sogar kochen.«
    Er beugte sich auf seinem Stuhl vor, fasste sie um die Taille und zog sie zu sich. Sie machte einen halbherzigen Versuch, sich ihm zu entwinden. »Ich komme mir so dämlich vor, dir das nach all den Jahren zu erzählen«, sagte sie, wobei sie sich an ihn lehnte und ihn auf den Kopf küsste Plötzlich fiel ihr aus heiterem Himmel etwas ein, und sie sagte: »Meine Mutter kennt sie.«
    »Wen?«
    »Contessa Lorenzoni. Ich glaube, sie sitzen zusammen in irgendeinem Wohltätigkeitsausschuss, oder...« Sie unterbrach sich. »Ich weiß es nicht mehr genau, aber sie kennen sich.«
    »Hat deine Mutter einmal etwas über sie gesagt?«
    »Nein, zumindest erinnere ich mich an nichts. Außer an die Sache mit ihrem Sohn. Es bringt sie um, sagt mamma jedenfalls. Sie war so vielseitig engagiert: bei den Freunden Venedigs, fürs Theater, bei Spendensammlungen für den Wiederaufbau des La Fenice. Aber als das dann passierte, hat sie alles fallen gelassen. Meine Mutter sagt, dass sie nie mehr ausgeht und auch niemanden empfängt. Keiner sieht sie mehr. Mamma hat, glaube ich, gemeint, die Ungewissheit um sein Schicksal sei schuld daran und seinen Tod könnte sie wahrscheinlich noch eher hinnehmen. Aber nicht zu wissen, ob er noch lebt... Ich kann mir nichts Entsetzlicheres vorstellen. Da ist es sogar besser, zu wissen, dass er tot ist.«
    Brunetti, der gewöhnlich für das Leben plädierte, hätte unter anderen Umständen Einwände erhoben, aber er wollte das Thema heute abend lieber nicht diskutieren. Er hatte schon den ganzen Tag über das Verschwinden und den Tod von Kindern nachdenken müssen und mochte nichts mehr davon wissen.

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