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Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Titel: Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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äußerten die üblichen Nettigkeiten auf italienisch mit leichtem Akzent. Brunetti fiel auf, wie ähnlich sie einander im Körperbau waren, wie ähnlich auch ihr klarer Blick.
    »Und«, fuhr Morosini fort, »Dottoressa Filomena Santa Lucia und ihr Mann Luigi Bernardi.« Die Angesprochenen stellten ihre Gläser neben die der anderen und streckten ebenfalls die Hände aus. Dieselben Nettigkeiten. Nur spürte Brunetti diesmal ein gewisses Zögern bei den beiden, ihre Hände allzulange mit denen der Fremden in Kontakt zu lassen. Er merkte auch, daß beide, obwohl sie mit ihm wie mit Paola sprachen, viel mehr Augen für Paola hatten. Die Frau hatte dunkle Augen und verriet mit ihrem ganzen Gehabe, daß sie zu denen gehörte, die sich für weitaus schöner halten, als sie sind. Der Mann sprach mit dem tonlosen R der Milanesen.
    Von hinten rief Claras Stimme: »A tavola, a tavola, ragazzi«, und Giovanni führte sie ins angrenzende Zimmer, wo ein großer ovaler Tisch parallel zu einer Reihe hoher Fenster stand, aus denen man zu den Häusern auf der gegenüberliegenden Seite des campo blickte.
    Jetzt kam Clara aus der Küche, den Kopf eingehüllt in eine Dampfwolke aus der Terrine, die sie vor sich hertrug wie eine Opfergabe. Brunetti roch Anchovis und Broccoli und merkte, daß er Hunger hatte.
    Während der Vorspeise drehten die Gespräche sich um Allgemeines, ein vorsichtiges Abtasten, wie es immer stattfindet, wenn acht Leute, die ihre jeweiligen Vorlieben nicht kennen, herauszufinden versuchen, welche Themen auf Interesse stoßen. Brunetti fiel dabei wieder einmal auf, wie schon so oft in den letzten Jahren, daß nicht über Politik gesprochen wurde. Er wußte nicht recht, ob sich dafür niemand mehr interessierte oder ob sie einfach ein zu heißes Eisen war, um Fremde da heranzulassen. Aber aus welchem Grund auch immer, jedenfalls war die Politik der Religion in jenen Gulag gefolgt, in den sich hineinzubegeben niemand mehr wagte oder Lust hatte.
    Dottor Rotgeiger erklärte gerade in einem Italienisch, das Brunetti recht gut fand, mit welchen Schwierigkeiten er beim Ufficio Stranieri zu kämpfen habe, wenn er seine Aufenthaltsgenehmigung für Venedig um ein Jahr verlängern wolle. Jedesmal werde er von selbsternannten »Agenten« angegangen, die sich zwischen den Wartenden herumtrieben und behaupteten, sie könnten helfen, den Papierkrieg abzukürzen.
    Brunetti ließ sich eine zweite Portion Pasta auftun und schwieg.
    Als der Fisch aufgetragen wurde - ein riesiger gedünsteter Seebarsch, der mindestens einen halben Meter lang gewesen sein mußte -, war die Gesprächsführung inzwischen auf Dottoressa Santa Lucia übergegangen, die als KulturAnthropologin gerade von einer Forschungsreise nach Indonesien zurückgekehrt war, wo sie ein Jahr lang familiäre Machtstrukturen studiert hatte.
    Obwohl sie ihre Worte an alle um den Tisch richtete, merkte Brunetti, daß sie dabei die ganze Zeit Paola ansah. »Man muß verstehen«, sagte sie, nicht direkt lächelnd, aber mit dem selbstzufriedenen Gesicht derer, die in der Lage sind, die Feinheiten einer fremdartigen Kultur zu begreifen, »daß die ganze Familienstruktur auf die Bewahrung derselben ausgerichtet ist. Das heißt, es muß alles getan werden, um die Familie intakt zu halten, selbst wenn es bedeutet, daß ihre unbedeutendsten Mitglieder geopfert werden.«
    »Und wer bestimmt das?« fragte Paola, während sie eine winzige Gräte aus ihrem Mund nahm und sie übertrieben vorsichtig auf den Tellerrand legte.
    »Das ist eine sehr interessante Frage«, sagte Dottoressa Santa Lucia in genau dem Ton, in dem sie wahrscheinlich ihren Studenten zum hundertsten Mal dasselbe erklärte. »Aber ich glaube, dies ist einer der wenigen Fälle, in denen sich die gesellschaftlichen Vorstellungen dieser sehr komplexen und hochstehenden Kultur mit unserer eher vereinfachenden Sicht vertragen.« Sie legte eine kleine Pause ein und wartete, ob jemand um Erläuterung bat.
    Bettina Rotgeiger tat ihr den Gefallen. »Inwiefern vertragen?«
    »Insofern, als wir uns darüber einig sind, wer das ist, die unbedeutendsten Mitglieder der Gesellschaft.« Nach diesen Worten hielt die Dottoressa erneut inne, und als sie sah, daß ihr die ganze Tischgesellschaft zuhörte, nippte sie an ihrem Weinglas, während die anderen auf ihre Antwort warteten.
    »Lassen Sie mich raten«, sprach Paola lächelnd dazwischen, das Kinn auf die Hand gestützt, den Fisch vergessend. »Die jungen Mädchen?«
    Nach einer kurzen

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