Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
Wort und übergab ihm drei Seiten mit Informationen über Sandro Bonaventura. Er hatte mit seiner Frau zwei Kinder, die beide schon studierten; außerdem besaßen sie ein Haus in Padua und eine Wohnung in Castelfranco. Die dortige Fabrik, Interfar, lief auf den Namen seiner Schwester, genau wie Bonaventura gesagt hatte. Der Kaufpreis dafür war vor anderthalb Jahren in bar entrichtet worden, einen Tag nachdem von Mitris Konto bei einer venezianischen Bank ein hoher Betrag abgehoben worden war.
Bonaventura hatte eine von Mitris Fabriken als Direktor geleitet, bevor er den Betrieb übernahm, der seiner Schwester gehörte. Und das war alles: das klassische Beispiel einer erfolgreichen mittelständischen Karriere.
Am dritten Tag wurde ein Mann bei einem Raubüberfall auf das Postamt am Campo San Polo gefaßt. Nach fünfstündigem Verhör gestand er den Überfall auf die Bank am Campo San Luca. Es war derselbe Mann, den Iacovantuono zuerst auf einem Foto identifiziert, nach dem Tod seiner Frau aber nicht mehr erkannt hatte. Während seines Verhörs ging Brunetti einmal nach unten und sah sich den Mann durch die Einwegscheibe des Vernehmungszimmers an. Er sah einen gedrungenen, robust gebauten Mann mit schütterem braunem Haar; der Mann, den Iacovantuono beim zweitenmal beschrieben hatte, war mindestens zwanzig Kilo leichter gewesen und hatte rote Haare gehabt.
Er ging wieder nach oben und rief Negri in Treviso an, der im Fall von Signora Iacovantuono ermittelte - dem Fall, der keiner war. Brunetti sagte ihm, daß sie jemanden im Zusammenhang mit dem Bankraub festgenommen hätten, dieser Mann aber nicht die mindeste Ähnlichkeit mit dem habe, den Iacovantuono ihnen beim zweitenmal beschrieben hatte.
Nachdem er diese Information weitergegeben hatte, fragte Brunetti: »Was macht er?«
»Er geht zur Arbeit, kommt nach Hause, versorgt seine Kinder und geht jeden zweiten Tag auf den Friedhof, um frische Blumen auf ihr Grab zu legen«, antwortete Negri.
»Gibt es eine andere Frau?«
»Noch nicht.«
»Wenn er es war, ist er ein guter Schauspieler«, bemerkte Brunetti.
»Ich fand ihn absolut überzeugend, als ich mit ihm sprach. Ich habe am Tag nach ihrem Tod sogar ein paar Mann zum Schutz der Familie abgestellt, die auch ein Auge auf das Haus haben sollten.«
»Ist ihnen etwas aufgefallen?«
»Nichts.«
»Geben Sie mir Bescheid, wenn sich etwas tut«, bat Brunetti.
»Zu rechnen ist damit wohl nicht, oder?«
»Nein.«
Gewöhnlich warnte ein Instinkt Brunetti, wenn jemand ihn anlog oder etwas zu verbergen versuchte, aber bei Iacovantuono hatte er ein solches Gefühl nicht gehabt, keinerlei Verdacht geschöpft. Unwillkürlich stellte Brunetti sich die Frage, was ihm eigentlich lieber wäre: daß er recht behielt oder daß der kleine Pizzabäcker sich als Mörder entpuppte?
Er hatte noch die Hand auf dem Hörer, als sein Telefon klingelte und ihn aus diesen müßigen Überlegungen riß.
»Guido, hier della Corte.«
Brunettis Gedanken waren sofort in Padua, dann bei Mitri und Palmieri. »Was gibt's?« fragte er, viel zu aufgeregt, um sich mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten, Iacovantuono war augenblicklich vergessen.
»Kann sein, daß wir ihn gefunden haben.«
»Wen, Palmieri?«
»Ja.«
»Wo?«
»Nördlich von hier. Wie es aussieht, fährt er einen Lieferwagen.«
»Einen Lieferwagen?« wiederholte Brunetti verdutzt. Das erschien ihm doch zu banal für einen Mann, der womöglich vier Menschen ermordet hatte.
»Er benutzt einen anderen Namen. Michele de Luca.«
»Wie seid ihr auf ihn gestoßen?«
»Ein Kollege vom Rauschgiftdezernat hat sich umgehört, und einer seiner Informanten hat es ihm gesagt. Er war sich nicht ganz sicher, darum haben wir jemanden hingeschickt, und der konnte ihn ziemlich zuverlässig identifizieren.«
»Könnte Palmieri etwas gemerkt haben?«
»Nein, unser Mann ist gut.« Eine kleine Weile sagten beide nichts, bis della Corte schließlich fragte: »Möchtest du, daß wir ihn kassieren?«
»Ich fürchte, das dürfte nicht ganz einfach sein.«
»Wir wissen, wo er wohnt. Wir können nachts hin.«
»Wo wohnt er denn?«
»In Castelfranco. Den Lieferwagen fährt er für eine pharmazeutische Fabrik namens Interfar.«
»Ich komme. Ich will ihn haben. Heute nacht.«
Um Palmieri mit der Polizei von Padua aus seiner Wohnung holen zu können, mußte Brunetti seine Frau belügen. Beim Mittagessen erzählte er ihr, die Polizei in Castelfranco habe einen Verdächtigen in
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