Brunetti 09 - Feine Freunde
Treppenstufe stand und auf Brunetti hinabsah, sagte er: »Er war ein guter Mensch. Ich kannte ihn nicht besonders gut, aber ich mochte ihn. Er hat immer nett über andere Leute gesprochen.« Er beugte sich vor und legte Brunetti die Hand auf den Arm, als wollte er seiner Aussage besonderen Nachdruck verleihen. Dann schloß er die Tür.
8
A uf dem Rückweg zur Questura rief Brunetti zu Hause an, um Paola zu sagen, daß er zum Mittagessen nicht heimkommen werde. Danach ging er in eine kleine Trattoria und aß einen Teller Pasta, von der er nichts schmeckte, und ein paar Stückchen Huhn, die lediglich als Kraftstoff dienten, um ihn über den Nachmittag zu bringen. Als er in sein Zimmer kam, fand er auf dem Schreibtisch eine Nachricht, daß Vice-Questore Patta ihn um vier Uhr zu sprechen wünsche.
Brunetti rief im Krankenhaus an und hinterließ bei Dottor Rizzardis Sekretärin eine Nachricht mit der Frage, ob er die Autopsie an Francesco Rossi selbst vornehmen werde, dann führte er ein weiteres Gespräch, um die bürokratischen Mühlen für eine solche Autopsie überhaupt erst einmal in Gang zu bringen. Er ging hinunter ins Bereitschaftszimmer, um nachzusehen, ob Vianello da war. Sein Assistent saß am Schreibtisch vor einem dicken Aktenordner. Obwohl Vianello nicht viel größer war als sein Vorgesetzter, schien er irgendwie mehr Raum einzunehmen.
Bei Brunettis Eintreten blickte er hoch und wollte schon aufstehen, aber Brunetti bedeutete ihm, sitzen zu bleiben. Doch als er dann die drei anderen Polizisten bemerkte, die auch mit im Zimmer waren, überlegte er es sich anders und deutete mit einer kaum merklichen Bewegung des Kinns zur Tür. Vianello verstand, klappte den Ordner zu und folgte Brunetti nach oben in dessen Dienstzimmer.
Als sie einander gegenübersaßen, fragte Brunetti: »Haben Sie die Sache mit dem Mann gelesen, der drüben in Dorsoduro vom Gerüst gefallen ist?«
»Der vom Katasteramt?« fragte Vianello zurück, aber es war eigentlich keine Frage. Als Brunetti nickte, erkundigte sich Vianello: »Was ist mit ihm?«
»Er hat mich am Freitag angerufen«, sagte Brunetti, dann legte er eine Pause ein, um Vianello Gelegenheit zu einer Rückfrage zu geben. Als keine kam, berichtete er weiter: »Er wollte mit mir über etwas reden, was in seiner Dienststelle vor sich ging, aber er rief über sein telefonino an, und als ich ihm sagte, das sei nicht sicher, wollte er mich von woanders her wieder anrufen.«
»Und das hat er nicht getan?« unterbrach Vianello.
»Nein«, bestätigte Brunetti kopfschüttelnd. »Ich habe bis nach sieben Uhr hier gewartet, sogar den Bereitschaftsdienst angewiesen, ihm meine Privatnummer zu geben, falls er doch noch anrufen sollte, aber er hat sich nicht gemeldet. Und dann sah ich heute vormittag sein Bild in der Zeitung. Ich bin auf der Stelle zum Krankenhaus gegangen, aber es war zu spät.« Brunetti hielt wieder inne und wartete auf einen Kommentar von Vianello.
»Warum sind Sie zum Krankenhaus gegangen, Commissario?«
»Er hatte Höhenangst.«
»Was?«
»Als er bei mir in der Wohnung war, da -«, begann Brunetti, aber Vianello unterbrach ihn.
»Er war bei Ihnen zu Hause? Wann denn?«
»Vor Monaten schon. Es ging um die Urkunden und Dokumente, die sie dort über meine Wohnung haben. Beziehungsweise nicht haben. Ist auch egal. Er war jedenfalls da, um irgendwelche Papiere einzusehen. Die hatten mir vorher schon geschrieben. Aber es ist unwichtig, wozu er da war; wichtig ist, was bei der Gelegenheit passierte.«
Vianello sagte nichts, aber die Neugier stand ihm mit Großbuchstaben ins breite Gesicht geschrieben.
»Während wir uns über das Haus unterhielten, bat ich ihn, mit nach draußen auf die Terrasse zu kommen und einen Blick auf die Fenster der Wohnung unter uns zu werfen. Ich dachte, er würde daran sehen, daß beide Stockwerke zur selben Zeit aufgesetzt worden waren, und es hätte vielleicht Einfluß auf die amtliche Entscheidung über meine Wohnung, wenn dem so wäre.« Als Brunetti das sagte, fiel ihm ein, daß er ja gar nicht wußte, zu welcher Entscheidung das Katasteramt, falls überhaupt, gekommen war.
»Ich war also draußen und beugte mich übers Geländer zu den Fenstern im nächsttieferen Stockwerk, und als ich mich wieder zu ihm umdrehte, reagierte er, als hätte ich ihm eine Giftschlange unter die Nase gehalten. Er war starr vor Angst.« Als er Vianellos skeptische Miene sah, lenkte er ein: »Also gut, das war eben mein Eindruck. Jedenfalls hatte
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