Brunetti 14 - Blutige Steine
nicht verraten. Er meinte nur, es sei für uns von Interesse, und ich solle es mir unbedingt ansehen.« So übersetzte Brunetti den ziemlich kindischen Code, in dem er mit dem Pathologen verhandelt hatte. »Ich habe Pucetti rübergeschickt.«
»Sie haben den Doktor von hier aus angerufen?« fragte Vianello hörbar erstaunt.
Da weihte Brunetti seinen Inspektor kurzerhand in das Geheimnis um Signor Rossis telefonino ein und gab ihm sogar die Nummer.
»So weit ist es also schon mit uns gekommen?« murmelte Vianello düster. Ehe Brunetti darauf antworten konnte, erschien Pucetti in einem langen Ledermantel und Doc-Martens-Stiefeln.
Die beiden Älteren musterten seinen Aufzug kommentarlos. Pucetti legte ein Kuvert auf den Schreibtisch und blieb unschlüssig stehen, bis Brunetti ihn mit einer Handbewegung aufforderte, Platz zu nehmen.
Aus dem Umschlag zog Brunetti einen zusammengefalteten Bogen Papier, in den ein paar Fotos eingeschlagen waren, sowie eins jener Formblätter, die die Polizei zur Sicherung von Fingerabdrücken verwendete. Auf dem Deckblatt über den Fotos erkannte Brunetti Rizzardis Handschrift. »Als ich in den Seziersaal kam, sagte man mir, die Obduktion sei bereits abgeschlossen, der Befund aber nicht verfügbar. Also habe ich wenigstens die Leiche fotografiert: siehe meine Kommentare auf den Rückseiten der Abzüge. Die Fingerabdrücke auf beiliegendem Formblatt stammen ebenfalls vom Mordopfer und wurden von mir sichergestellt. Ich empfehle dringend, sie mit denjenigen zu vergleichen, die bei der Obduktion genommen wurden, und Dich zu überzeugen, ob sie identisch sind.«
Die Unterschrift war nicht mehr als eine breite horizontale Linie. Darunter der Vermerk: »Ausführender Obduzent Dottor Venturi.«
Brunetti nahm die Fotos und legte sie in einer Reihe auf seinem Schreibtisch aus. Auf dem ersten Bild erkannte er das Gesicht des ermordeten Afrikaners; seine Augen waren geschlossen, und wer keine Erfahrung mit Toten besaß, hätte die entspannten Züge wohl für die eines Schlafenden gehalten.
Über der nächsten Aufnahme rätselte er einen Moment, denn auf den ersten Blick sah es aus, als hätte er zwei gefleckte Skulpturen mit merkwürdig symmetrischem Kopfschmuck vor sich. Doch bei näherem Hinsehen entpuppten sich die vermeintlichen Plastiken als die Fußsohlen des Toten, und der Kopfschmuck war nichts anderes als die Zehen. Brunetti beugte sich tiefer über das Foto, um die Flecken zu untersuchen: Alle waren kreisrund, etwa so groß wie eine Fingerkuppe und hoben sich leuchtend rosa von den blassen Fußsohlen ab. Auf der Rückseite hatte Rizzardi notiert: »Brandwunden von Zigaretten. Vollständig verheilt, aber vermutlich nicht älter als ein, höchstens zwei Jahre.« Brunetti drehte das Foto wieder um; jetzt, da er wußte, um was es sich handelte, erkannte auch er die Wundmale auf Anhieb.
Die nächste Aufnahme zeigte die Innenseite des rechten Beins, die vom Knie aufwärts bis zum Schritt die gleichen runden Flecken aufwies. Es mochten so an die zwanzig sein. »Oddio«, flüsterte Pucetti, entsetzt ob der erschreckenden Wehrlosigkeit, die das Foto so schonungslos preisgab.
Gleichsam als Spiegelbild der vorherigen Aufnahme folgte eine von der Innenseite des linken Beins. Schweigend beugten sich die drei Männer über diese Dokumente des Grauens, und keiner mochte sich dazu äußern.
Auf dem letzten Foto war abermals eine Narbe zu sehen; die kleine Kuhle darunter ließ erkennen, daß sie sich über dem Bauchnabel des Mannes befand. Brunetti erkannte das Muster: die gleichen vier Dreiecke des Malteserkreuzes, die auch in die Stirn des hölzernen Frauenkopfes eingeritzt waren, den er in der Jeans des Toten gefunden hatte. Das erhabene Narbengewebe war dunkler als die glatte Haut ringsum, doch statt bedrohlich zu wirken, gemahnte dieses Bild eher an ein Ritual denn an Schmerz. Auf der Rückseite des Fotos hatte Rizzardi notiert: »Diese Narbe ist erheblich älter. Irgendeine Stammestätowierung.«
Brunetti beugte sich vor und schob die Fotos wieder auf einen Stoß zusammen. Dann gab er Pucetti das Formblatt mit den Fingerabdrücken und sagte: »Bringen Sie das zu Bocchese ins Labor - aber geben Sie's ihm nur, wenn er allein ist. Er soll die Abdrücke mit dem Satz vergleichen, der dem Obduktionsbericht beilag. Das heißt«, fügte er eingedenk der verschwundenen Akten hinzu, »falls er den noch hat.«
»Wissen wir denn, ob er überhaupt Fingerabdrücke bekommen hat?« warf Vianello
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