Brunetti 14 - Blutige Steine
was darunter lag. Im Bad lag ein offenes Fläschchen Aspirin im Waschbecken, wo die durchweichten Tabletten sich langsam auflösten.
Brunetti und Vianello hielten es nicht mehr für nötig, sich lautlos anzuschleichen, als sie sich ins zweite Stockwerk begaben, wo sie fast das gleiche Szenario vorfanden: Sämtliche Spuren der Bewohner waren getilgt, und das wenige, was sie zurückgelassen hatten, war rücksichtslos durchwühlt worden.
Nach einem kurzen Rundgang stiegen die beiden zur Dachkammer hinauf. Die Tür stand offen, und drinnen fanden sie Zeugnisse einer Razzia, bei der man offenkundig das Unterste zuoberst gekehrt hatte - bei dem armseligen Inventar kein zeitaufwendiges Unterfangen. Am Fußende des Bettes stand der Lebensmittelkarton, dessen Inhalt daneben verstreut lag. Kekse und Erdnüsse waren auf den Decken zu einem Häufchen aufgeschichtet, die Plastikverpackungen hatte man auf den Boden geworfen. Das Stück Asiago-Käse war mittlerweile mit einer dünnen weißen Schimmelschicht überzogen.
»Haben Sie was zum Eintüten dabei?« fragte Brunetti.
»Nein. Aber vielleicht reicht ja mein Taschentuch?« Vianello zog es aus der Manteltasche, breitete es auf dem Bett aus und bückte sich nach den zerknüllten Verpackungen, die er vorsichtig und nur mit den Fingerspitzen an jeweils einer Ecke aufhob. Als sie in das Tuch eingewickelt waren, holte Vianello aus der anderen Manteltasche eine gelbe Einkaufstüte, deren grellrote Aufschrift BILLA draußen garantiert bis zur nächsten Straßenecke lesbar sein würde. Vianello brachte das Taschentuch mit den Beweismitteln darin unter.
»Bocchese?« fragte er.
Brunetti nickte. »Befund an mich. Aber nicht auf dem Dienstweg.«
»Lohnt sich's, auch von unten was mitzunehmen?«
»Vielleicht die Reis- und Mehlpackungen«, schlug Brunetti vor.
Nachdem das erledigt war und sie alle Türen wieder sorgfältig abgeschlossen hatten, verließen die beiden das Haus und begannen, sobald sie auf die calle hinaustraten, demonstrativ ein Gespräch über die Fußballergebnisse vom Wochenende. Ein Passant musterte sie kurz, doch als er Vianello »Inter« sagen hörte, beachtete er sie nicht weiter und verschwand in der Bar an der nächsten Ecke.
Als sie in der Questura anlangten, stand der Plan für ihr weiteres Vorgehen fest. Vianello begab sich ins Labor zu Bocchese; Brunetti rief von seinem Büro aus einen Kollegen in San Marco an, wo die Verhaftungsprotokolle der vucumprà archiviert waren, und bat um einen Gesprächstermin.
Sergente Moretti, ein kleiner, untersetzter Mann mit Stirnglatze, erwartete den Commissario in seinem Büro. In all den Jahren, die sie nun schon zusammenarbeiteten, hatte Brunetti ihn niemals ohne Uniform gesehen, allerdings auch nie außerhalb seiner Amtsräume. Sein Schreibtisch sah noch genauso aus, wie Brunetti ihn in Erinnerung hatte: ein Telefon, eine einzige Akte, die aufgeschlagen vor dem Sergente lag, und links von ihm eine Fotografie seiner Frau, die vor drei Jahren gestorben war.
Die beiden Männer schüttelten einander die Hand und plauderten zunächst über Belangloses. Den angebotenen Kaffee lehnte Brunetti dankend ab; er bestätigte, daß es in der Tat sehr kalt sei, und eröffnete Moretti endlich, er benötige Informationen über die vucumprà.
Ohne daß seine ausdruckslose Miene verraten hätte, wie er persönlich dazu stand, entgegnete Moretti: »Wir sind gehalten, von venditori ambulanti zu sprechen.«
»Gut, dann erzählen Sie mir was über die venditori ambulanti«, gab Brunetti ebenso distanziert zurück.
»Was wollen Sie denn wissen, Commissario?«
Brunetti nahm ein Foto aus der Innentasche und legte es vor Moretti auf den Schreibtisch. »Das ist der Mann, der neulich erschossen wurde. Erkennen Sie ihn? Ich meine, haben Sie ihn vielleicht irgendwann einmal festgenommen?«
Der Sergente zog das Foto näher zu sich heran und betrachtete es. Dann nahm er es in die Hand und hielt es leicht schräg, so daß mehr Licht auf die Züge des Mannes fiel. »Gesehen habe ich den schon, ja«, sagte er gedehnt. »Aber ich wüßte nicht, daß wir ihn je verhaftet hätten.«
»Dann sind Sie ihm vielleicht auf der Straße begegnet?« fragte Brunetti weiter.
»Nein!« Die Antwort kam so prompt und scharf, daß Brunetti zusammenschrak. Und den Sergente zu einer Erklärung nötigte: »Ich meide die Orte, an denen die sich aufhalten, weil es mich ärgert, sie da rumlungern zu sehen, und mir sind die Hände gebunden.«
»Was meinen Sie
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