Brunetti 14 - Blutige Steine
gar so eilig sei es nicht, er könne das Boot unterwegs beim Postamt halten lassen.
»Fabio und Carlo?« erkundigte sich Brunetti.
»Wer sonst bricht in Apotheken ein?« Im Gegensatz zu seiner rhetorischen Frage war Pucettis Zorn durchaus echt. Fabio Villatico und Carlo Renda waren zwei stadt-bekannte Junkies mit Aids im Endstadium, weshalb man sie nicht einsperren konnte. Tagsüber bettelten sie die Touristen um Geld an, und wenn dabei nicht genug zusammenkam, brachen sie nachts in Apotheken ein und stahlen Medikamente für ihre intravenösen Cocktails, die nicht selten Grippe- und Erkältungsmittel enthielten. Unzählige Male hatten ihre Mixturen sie in die Notaufnahme gebracht, aber sie hatten jedesmal überlebt; und das, obwohl die Ärzte in der Klinik schon längst prophezeit hatten, daß ihr geschwächtes Immunsystem keinem Schnupfen und keinem Grippeanflug mehr standhalten würde.
Da die beiden Pucetti offenbar so zuwider waren, behielt Brunetti seine eigene verschämte Sympathie für sich. Fabio und Carlo waren nie einer geregelten Arbeit nachgegangen und in den letzten zehn Jahren kaum je über einen längeren Zeitraum klar im Kopf gewesen. Andererseits waren sie nie gewalttätig geworden, ja setzten sich nicht einmal verbal gegen die Beschimpfungen zur Wehr, mit denen sie gelegentlich von Passanten bedacht wurden.
»Nachtkurier?« fragte Pucetti und deutete auf das Kuvert.
»Ja. Und danke, Pucetti.«
Als der junge Beamte gegangen war, fragte Brunetti sich bekümmert, warum ihre Ansichten über die beiden Junkies so weit auseinanderklafften. Eigentlich gehörte Pucetti doch zur Generation derer, die sich für Gefühle stark machten, dafür, das Leid anderer zu teilen, den Benachteiligten beizustehen; und doch entdeckte Brunetti bei ihnen häufig Spuren einer Rücksichtslosigkeit, die ihn frösteln machte und vor der Zukunft bangen ließ. Konnte es sein, daß die sentimentale Kitschwelt aus Kino und Fernsehen bei der Jugend eine Art emotionalen Insulinschock ausgelöst und ihr Empathievermögen für jene abstoßenden Opfer des Schicksals erstickt hatte, wie sie im wahren Leben vorkamen?
Carlo, der mit schlecht gemachten Tattoos übersät war, torkelte durch die Stadt wie ein rastloser Taschenkrebs. Fabio dagegen stank häufig nach Urin und war blind und taub gegen jegliche Vernunft. In all den Jahren, die Brunetti sie kannte, hatte er den beiden nie Geld gegeben, und er wäre herzlich froh gewesen, wenn man sie endlich aus dem Verkehr gezogen hätte. Trotzdem hatte er immer ein ungutes Gefühl, wenn er ihnen begegnete, so als wäre er irgendwie für ihr Elend verantwortlich.
Um sich von den trüben Gedanken an das untergangsgeweihte Duo abzulenken, schlug Brunetti im internen Telefonverzeichnis nach und wählte Morettis Nummer.
»Ah, Commissario«, rief der Sergente diensteifrig, als Brunetti seinen Namen genannt hatte. »Ich wollte Sie schon den ganzen Tag anrufen, aber wir haben hier die reinste Invasion.«
»Touristen?« witzelte Brunetti.
»Zigeuner«, antwortete Moretti ernst. »Da muß eine ganze Bande in der Stadt ihr Unwesen treiben. Allein am Vormittag hatten wir neun Anzeigen: jedes Mal die alte Masche mit den süßen kleinen Zeitungsjungen.«
»Ich dachte, die gehört nach Rom.« Brunetti erinnerte sich gut, wie ein Schwarm kleiner, zeitungsschwenkender Kinder arglose Passanten einzukreisen pflegte und das auserkorene Opfer so lange mit lautstarken Werbesprüchen ablenkte, bis ein Komplize ihm Geldbörse oder Brieftasche entwendet hatte.
»Ja, das stimmt, aber anscheinend probieren sie's inzwischen auch bei uns damit.«
»Und, haben Sie schon welche geschnappt?« fragte Brunetti.
»Bis jetzt drei, aber die sind alle minderjährig oder sehen zumindest so aus. Folglich können wir nur ihre Personalien aufnehmen und sie registrieren. Danach steht ihnen ein Telefonanruf zu, und es dauert nicht lange, bis jemand mit demselben Nachnamen auftaucht, die Kids abholt und mitnimmt.« Moretti seufzte angewidert. »Ich mache mir nicht einmal mehr die Mühe, den Leuten zu sagen, daß sie ihre Kinder zur Schule schicken müssen. Genausowenig wie ich die Illegalen, die uns ins Netz gehen, noch darüber belehre, daß sie binnen achtundvierzig Stunden das Land zu verlassen haben. Das letzte Mal, als ich einem das vorgebetet habe, hat der mich einfach ausgelacht.« Und nach einer Pause ergänzte Moretti: »Zum Glück hatte ich mich in der Gewalt und bin nicht handgreiflich geworden.«
»Ja, damit
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